BND-Abteilungsleiter: Freunde wegen "Sensibilitätsfehler" ausgespäht

Der aktuelle Chef der Technischen Aufklärung beim BND hat im NSA-Ausschuss eingeräumt, dass die eigenen Suchmerkmale nicht kontrolliert worden seien. Einer seiner Vorgänger meinte, man habe Besseres zu tun gehabt als die NSA-Selektoren zu prüfen.

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Der Skandal erreicht den Bundestag

(Bild: Deutscher Bundestag / Simone M. Neumann / NSA<br>)

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Der unter dem Kürzel W. K. firmierende kommissarische Leiter der Abteilung Technische Aufklärung (TA) beim Bundesnachrichtendienst (BND) hat am Donnerstag im NSA-Untersuchungsausschuss eingestanden, dass es in der Behörde "organisatorische Defizite gab". Eigene Suchmerkmale seien nur indirekt geprüft, Probleme in den Außenstellen wie Bad Aibling nicht nach oben kommuniziert worden, konstatierte der 51-Jährige. Dass an dem Horchposten 12 bis 13 Millionen Ziele der NSA in die Erfassungssysteme eingespielt wurden, habe er überhaupt nicht mitbekommen.

Die BND-Selektoren, mit denen der Auslandsgeheimdienst illegitim und entgegen dem Auftrag der Bundesregierung eine Vielzahl an Stellen in EU- und Nato-Ländern ausforschte, wurden laut dem Zeugen bisher nur "über das Meldungs-Controlling" bewertet. Herausgenommen worden seien Suchvorgaben also nur, wenn ein Sachbearbeiter Alarm geschlagen habe wegen auffällig unerwünschter Resultate. "was nicht stattfand, war eine Kontrolle der eingesteuerten Selektoren", gab W. K. zu. Ein Merkmal, das schlechte oder keine Ergebnisse geliefert habe, "verblieb da einfach". Keiner habe es mehr angefasst.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Die ganze Selektorenprüfung sei allein darauf ausgelegt gewesen, Grundrechtsträger im Einklang mit den Anforderungen aus Artikel 10 des Grundgesetzes zum Fernmeldegeheimnis auszusortieren. Das dafür eingesetzte Datenfiltersystem (Dafis) funktioniere, auch wenn es ständig weiterentwickelt werden müsse. Die mehrstufige Technik "erschöpft sich nicht darin, .de-Adressen auszusortieren". Zum "Ausspähen unter Freunden" etwa innerhalb der EU, das laut Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spätestens seit 2013 "gar nicht geht", habe es bis dahin dagegen "keine Belehrung" und "keine politische Sensibilität" gegeben.

Das Steuerungssystem wuchs dem Elektrotechniker zufolge über Jahrzehnte. "Wir werden es umstellen", kündigte W. K. an und verwies auf Empfehlungen aus dem Untersuchungsbericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

Widersprüchlich blieben Zeugenaussagen rund um die Weisung von Ex-BND-Präsident Gerhard Schindler vom 28. Oktober 2013, wonach das Ausspähen von Freunden unterbleiben müsse. Es sei bei dem von ihm als "dringlich" empfunden Telefonat im Kern darum gegangen, "bestehende Steuerungen aus der Erfassung zu nehmen", gab W. K. zu Protokoll. Er habe diese Anordnung noch am gleichen Nachmittag an alle Außenstellen weitergegeben, nur in Bad Aibling habe er niemand mehr erreicht. Den Horchposten habe dann sein Kollege D. B. am nächsten Tag informiert, da er selbst eine Woche in Urlaub gegangen sei.

Der damalige Unterabteilungsleiter erinnerte sich auch daran, dass die kritische Weisung "im Nachhinein verschriftlicht worden ist", das erste Mal im März und erneut in der wesentlichen Fassung im April 2014. Schon nach den ersten Telefonaten hätte es ihm zufolge "aber vor Ort eine verschriftlichte Weisung geben" müssen, "damit die Leute Handlungssicherheit haben". R. U., der frühere Leiter des für die Kooperation mit der NSA zentralen Horchpostens Bad Aibling, hatte vor zwei Wochen dagegen angegeben, dass dies an der von ihm damals geführten Stelle nicht der Fall gewesen sei.

Dass in Bad Aibling und beim Kabelprojekt Eikonal in Frankfurt auch NSA-Selektoren eingesetzt wurden, entging dem Ingenieur nach eigener Angabe nicht. Er habe aber nichts davon gewusst, dass es sich dabei um 12 bis 13 Millionen Suchmerkmale gehandelt habe. Er könne sich vorstellen, dass auch Schindler keine Kenntnis davon erhalten habe. Dieses Thema sei im BND insgesamt erst im Frühjahr 2015 hochgekocht, als erstmals auf Anfrage des NSA-Ausschusses eine Liste der vom BND abgelehnten Selektoren des US-Partners ausgedruckt vorgelegen habe.

Ansgar Heuser, der von 2009 bis 2012 die für ihr "Eigenleben" bekannte Abteilung TA leitete, konnte sich dagegen nicht vorstellen, dass W. K. die Menge der NSA-Suchvorgaben entgangen sein sollte. Diese sei Gegenstand der Kooperation mit Bad Aibling gewesen. Er persönlich sei nicht auf die Idee gekommen, die Selektoren untersuchen zu lassen. Während des Höhepunkts des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr wäre er nach seinem Geisteszustand gefragt worden, wenn er dies angeordnet hätte.

"Wir hatten wirklich Besseres zu tun, als aus dem blauen Himmel heraus einen Verdacht zu formulieren, der das Klima mit den Amerikanern ruiniert hätte", führte der 66-Jährige aus. Es habe zwar Hinweise gegeben, dass die NSA eigene Interessen verfolge. Ihn habe aber interessiert: "Ist der Grundrechtsschutz gewährleistet; da habe ich mich auf meine Filter verlassen". Der Rest sei "nicht mein Thema" gewesen.

Grundsätzliche Probleme mit der zunehmenden Größenordnung auch der BND-Selektoren blieben dem Mathematiker nicht verborgen: "Die Listen waren alle immer viel zu groß." Manche Suchvorgaben hätten ein Schlummerdasein geführt, die "große Masse" habe gar nicht gegriffen. Letztlich hätte es einer "persönlichen Inspektion" der Elemente in den einschlägigen Datenbanken bedurft, zu der es dann doch wieder keinen gravierenden Anlass gegeben habe. "Beifänge" politischer brisanter Gespräche seien überschaubar gewesen. Die Schwierigkeiten seien so als "operativ-technischer Gesichtspunkt" gesehen worden. Er habe trotzdem eine Weisung erteilt, ob und wie Selektoren weitergegeben werden dürften an deutsche oder internationale Behörden. In dieser Frage "hatte sich ein gewisser Wildwuchs entwickelt".

In geschlossener Sitzung hatte der Ausschuss zuvor mit der Mehrheit der großen Koalition die Entscheidung darüber vertagt, ob die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, den NSA-Whistleblower Edward Snowden vor Ort vernehmen zu lassen. Der Bundesgerichtshof hatte dafür jüngst den Weg geebnet. CDU/CSU und SPD benötigen nach eigenen Angaben aber noch Zeit bis zur nächsten Woche, um die Sache rechtlich zu prüfen. Vertreter von Linken und Grünen warfen Schwarz-Rot daraufhin ein falsches Spiel auf Zeit vor und witterte einen "offenen Rechtsbruch". Die Bundesregierung müsse nun Farbe bekennen, nach dem das Justizministerium zwei Jahre Zeit gehabt habe zu klären, unter welchen Voraussetzungen der Kronzeuge hier aussagen könne. (mho)