Juristischer Streit um Politiker-Gästebuch im Internet
Kampfhundebesitzer, Türken und Rechtsradikale beharkten sich im Internet-Gästebuch von Cem Özdemir, gegen den auf Grund einzelner Äußerungen von Surfern Anzeige erstattet wurde.
Auf Volksverhetzung und Beleidigung lautet eine bei der Berliner Staatsanwaltschaft vorliegende Anzeige gegen den Bundestagsabgeordneten der Grünen, Cem Özdemir. Nachdem wochenlang rassistische Äußerungen gegenüber deutschen Kampfhundebesitzern im Internet-Gästebuch zugelassen worden seien, habe er Anzeige gegen Özdemir und die Autoren der Äußerungen erstattet, sagt der Autor der Anzeige. Er betreibt nach eigenen Aussagen einen Presseinformationsdienst für Aktivisten der Kampfhunde-Schützer und hatte direkt im Gästebuch des Politikers für die Anzeige geworben. Außerdem wird von der Kampfhunde-Aktivisten-Seite www.maulkorbzwang.de und inzwischen auch im Gästebuch der Region Ludwigsburg, dem Wahlkreis von Özdemir, zur Nachahmung aufgerufen.
Birgit Laubach, grüne Justiziarin, kann keine strafrechtlich relevantes Verhalten bei Özdemir erkennen. Eine Inhaltshaftung für offene Gästebücher im Internet besteht ihrer Meinung nach nicht. Inzwischen habe sich auch bei den Gerichten die Auffassung durchgesetzt, dass man für strafbare Äußerungen auch im Internet nur dann hafte, wenn man sie sich zu Eigen mache. Bei den Grünen wird nun vielmehr gerätselt, ob es sich bei der Anzeige um einen Teil einer wohlgeplanten Kampagne gegen Özdemir handelt. Das Gästebuch wurde nach der Anzeige vom Netz genommen. "Wir haben das Gästebuch der Staatsanwaltschaft in Berlin zur Verfügung gestellt", erklärte Laubach.
Die beanstandeten Äußerungen waren offensichtlich das Ergebnis eines erbitterten auf der Site ausgetragenen Streits deutscher Kampfhundebesitzer und türkischer Kampfhundegegner nach einer Rede, in der sich Özdemir gegen die Haltung von Kampfhunden ausgesprochen hatte. Nach Darstellung des Webmasters und einer Grünen-Sprecherin hatte sich die Diskussion zwischen beiden Lagern hochgeschaukelt, die Anzeige betrifft jedoch offensichtlich vor allem folgende Äußerungen: "Was wollt ihr scheiss deutschen den hier, ha! Ihr hasst die tuerken und wir euch. Und deshalb geht es euch daran, wo es euch besonders trifft: deutscher scheisshund! Am besten aller vergasen, euch gleich mit. Wenn mal einer von uns etwas passiert dann macht ihr nix, nur wenn es eurem Hund drangeht, dann fangt ihr an zu heulen!!!!?. Außerdem wird der Lieber Herr cem gebeten, diese Kampfhundbesitzer abzuknallen, wie die Kurden in der Türkei."
Kurz nachdem das Gästebuch Ende November zum ersten Mal aus dem Web genommen wurde, wurde es durch einen Besucher wieder geöffnet und die Diskussion begann von neuem. "Eine technische Panne, weil wir nicht sofort den kompletten Ordner aus dem Web genommen haben", sagt Özdemirs Webmaster Adil Oyan. Über eine aus dem Cache heraus gestartete Anwort an einen Forumsbeitrag sei die Funktion wieder eingerichtet worden.
Nicht nur Özdemir steht auf der schwarzen Liste der Kampfhundeaktivisten. Auf der Maulkorbzwang-Seite finden sich neben Musterklagen, Faxnummern und Kontaktadressen auch mehr als ein Dutzend Internet-Gästebuchadressen von Politikern. Sprachlich sind die Kampfhunde-Aktivisten auch nicht gerade zimperlich: Der hessische Innenminister wird beispielsweise als "Möchtegern-Massenmörder" bezeichnet.
Den von den Grünen vermuteten Zusammenhang zu rechtsradikalen Thesen lehnen die Kampfhunde-Aktivisten rigoros ab. Doch ganz von der Hand zu weisen ist er nicht immer, wie einige Aussagen auf der zum Entsetzen der Otto-Normal-User für die Debatte genutzten Ludwigsburger Seite nahelegen können: "Kucken Sie genau hin 99% aller aggresiven Hunde werden leider von Türken geführt. Wir Deutschen werden nun dafür bestraft das ein Türke seinen Hund so ausgebildet hat. Ich persönlich möchte nicht in einem Deutschland leben das von Türken regiert wird. Denken Sie bitte darüber nach bevor Sie bei der nächsten Wahl Ihr Kreuz machen."
Vor diesem Hintergund ist inzwischen nach Aussagen von Oyan auch das Bundeskriminalamt in Wiesbaden eingeschaltet, das künftig strafrechtsrelevante Mails aus dem Gästebuch im Rahmen der Personenschutzmaßnahmen für Özdemir bekommen soll. Bis Montag soll Oyan nun den Ermittlern die gesicherten Gästebuch-Logfiles übergeben, er will dies für die mit der Anzeige zusammenhängenden Einträge tun. Während man bei der Staatsanwaltschaft in Berlin offensichtlich darüber nichts weiß, verweigerte eine BKA-Sprecherin jeglichen Kommentar. Die grüne Justiziarin zeigte sich ebenfalls überrascht und wollte die Angelegenheit erst noch prüfen. Normalerweise bedarf es eines richterlichen Beschlusses für die Weitergabe der Log-Files. Laubach ist auch durchaus skeptisch, was die Überlegungen anbetrifft, das Gästebuch in seiner Neuauflage durch ein cgi-Skript zu schützen, das Begriffe wie "Türkenschweine" und "Nazischweine" durch ein kühles "zensiert" ersetzt. Es habe sich aber in den vergangenen Monaten gezeigt, dass es ohne Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr gehe. (Monika Ermert) / (jk)