Call-Center bringen Bewegung in den Arbeitsmarkt
Die Industrie- und Handelskammern entdecken bei Call-Centern Arbeitsplätze mit Zukunft; Arbeitsmediziner befürchten aber extrem belastende Jobs.
"Telefonieren macht mir Spaß", sagt der 21-jährige Mann aus Euskirchen. Der Spaß vergeht ihm allerdings regelmäßig, wenn er von unfreundlichen Menschen in die Warteschleife gelenkt und dort vergessen wird. In wenigen Wochen will der Mann die "Fronten" wechseln und diesen Job besser machen. Der ehemalige Maler und Lackierer lässt sich zum Call-Center Agent weiterbilden. "Der Markt für diese Zusatzqualifikation explodiert", daher sieht Frank Finke von der Industrie- und Handelskammer Aachen darin einen Beruf der Zukunft. Und: "Der Markt saugt alle verfügbaren Kräfte auf." Allein im Aachener Dreiländereck sind nach Angaben der Kammer in den letzten Jahren mindestens sieben Call-Center und damit tausende von neuen Arbeitsplätzen entstanden. Eine genaue Zahl kann selbst Finke nicht nennen: "In dem Bereich ist so viel in Bewegung, dass wir keinen Überblick mehr haben", bekennt er.
"Der stärkere Einsatz von Technik hat die Arbeitsorganisation verändert", beschreibt er den Wandel in den Unternehmen. Selbst in kleineren Firmen ist die Dame am Empfang mittlerweile mehr als nur Telefonistin: "Sie ist die Schnittstelle zwischen Unternehmen und Kunden", sagt Finke. "Ein Agent soll den Anrufer an die Hand nehmen", erklärt Sandra Bischoff ihr Verständnis vom neuen Berufsbild. "Dazu braucht er Einfühlungsvermögen und muss auf den Anderen zugehen können." Die Sozialpädagogin hat sich auf die Schulung von Call-Center Agents spezialisiert und gibt auch Kurse für die IHK Aachen.
Die Weiterbildung dauert vier bis sechs Monate. Zu den Voraussetzungen gehören EDV- und Englischkenntnisse. In dem Eignungstest spiegeln sich unverzichtbare Merkmale der Arbeit wider: Stressresistenz, Auffassungsgabe, Flexibilität und Kommunikationsfähigkeit sind Prüf-Kriterien. Interessenten mit starkem Dialekt rät sie gleich ab: "Die haben auf dem Arbeitsmarkt keine Chance."
"Nach meinem Erziehungsurlaub suchte ich eine Teilzeitarbeit", begründet eine 35-jährige Teilnehmerin ihren Schritt zum Arbeitsplatz am Telefon. Als Alleinerziehende mit zwei kleinen Kindern konnte sie ihren Beruf als Augenoptikerin nicht mehr als Vollzeitkraft ausüben. "Ich habe gehört, dass man als Call-Center Agent flexiblere Arbeitszeiten hat. Das kommt mir entgegen." Diese Chance des beruflichen Wiedereinstiegs nutzen viele Frauen, meint die IHK Aachen. 75 Prozent ihrer Kursteilnehmer sind weiblich. Möglicherweise spielten bei der Wahl des Jobs auch frauenspezifische Qualitäten eine Rolle wie Kommunikationsfreude, Bereitschaft zuzuhören und eine hohe Belastbarkeit.
Die Frage, ob hohe Belastung etwa durch Zeitdruck oder das hohe Maß an Flexibilität krank macht, diese Frage beschäftigt mittlerweile auch die Arbeitsmediziner. "Die hohe Personalfluktuation lässt auf einen extrem belastenden Job schließen", meint Mathias Dietrich vom Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte. Fachleute aus der Branche winken ab: "Die ersten Stellen sind vor drei Jahren mit Hausfrauen und Studenten besetzt worden. Die waren doch völlig unvorbereitet", heißt es. "Wenn die Leute vernünftig geschult sind, ist auch die Fluktuation nicht so hoch", hält auch Finke von der IHK Aachen dagegen. (Elke Silberer, dpa) / (jk)