Neue Leaks aus dem NSA-Ausschuss sind Fall für die Ermittler

Nach den Wikileaks-Veröffentlichungen aus dem NSA-Untersuchungsausschuss hat Bundestagspräsident Norbert Lammert für die Staatsanwaltschaft den Weg für Ermittlungen nach Hintermännern im parlamentarischen Umfeld freigemacht.

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Neue Leaks aus dem NSA-Ausschuss sind Fall für die Ermittler

(Bild: Andreas Gebert)

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Die Staatsanwaltschaft soll prüfen, ob rund um die Publikation von 2420 vertraulichen Dokumenten aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags das Dienstgeheimnis oder "besondere Geheimhaltungspflichten" verletzt wurden. Dafür hat der Bundestagspräsident Norbert Lammert den Weg freigemacht, wie Zeitungen der Funke-Mediengruppe melden. Dabei geht es um Ermittlungen wegen Verstoßes gegen den Paragraphen 353b des Strafgesetzbuchs: Wer ihm anvertraute Geheimnisse unbefugt offenbart und damit wichtige öffentliche Interessen gefährdet, kann mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe belegt werden. Handelte der Täter fahrlässig, droht bis zu einem Jahr Gefängnis. Auch wer Geheimpapiere an einen anderen gelangen lässt oder öffentlich bekannt macht, kann mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden.

Lammert muss Ermittlungen in dieser Richtung formell ermächtigen, da geschützte Berufsgeheimnisträger wie Abgeordnete ins Visier der Ermittler geraten könnten. Untersucht werden soll, wie die rund 90 Gigabyte umfassenden Daten an Wikileaks gelangt sind. Neben einem menschlichen Leck sind auch ein Diebstahl der virtuellen Akten beim großflächigen Hackerangriff aus dem vorigen Jahr und noch unentdeckte Cyberangriffe denkbar. Ausschussmitglieder und Sicherheitsexperten schließen laut den Berichten nicht aus, dass Hacker im Besitz weiterer Dokumente sind.

Der Vorsitzende des NSA-Ausschusses, Patrick Sensburg, monierte unterdessen, dass der Bundestag "nicht unmittelbar nach Bekanntwerden des Lecks Sicherungsmaßnahmen eingeleitet" habe. Er sei beunruhigt, da eine weitere, staatlich unterstützte Cyberattacke nicht auszuschließen sei. Konkret verwies der CDU-Politiker auf russische Geheimdienste, die laut deutschen Sicherheitsbehörden auch hinter dem Parlaments-Hack stecken könnten.

Wikileaks hatte schon 2015 Protokolle aus Ausschusssitzungen veröffentlicht, die jedoch in weiten Teilen auch von offizieller Seite aus publik gemacht werden sollten. Das neue Material ist fast vollständig als "Verschlusssache ­ nur für den Dienstgebrauch" eingestuft, also mit dem niedrigsten Geheimhaltungslevel. Solche Papiere sind im Ausschuss digital in Umlauf, während vertraulichere Dokumente selbst die Mitglieder des Gremiums nur in besonders geschützten Räumen einsehen dürfen.

Spektakuläre Enthüllungen fanden sich in dem umfangreichen Datenarchiv aus den Jahren 2014 und 2015 bislang nicht. Es handelt sich vor allem um Korrespondenz etwa zwischen dem Bundeskanzleramt, dem Bundestag und dem Bundesnachrichtendienst (BND). Deutlich wird freilich die Geschäftigkeit, die nach den Snowden-Enthüllungen in Berlin und am bisherigen BND-Hauptsitz in Pullach um sich griff. Auffällig sind diverse Eilersuchen an den Auslandsgeheimdienst, rasch in den Dokumenten des Whistleblowers angesprochene Sachverhalte aufzuklären und drängende Fragen aus dem Parlament zu beantworten. Wikileaks wertet die Dokumente als Belege dafür, dass Geheimdienste Wege suchen und finden, um an ihrem eigentlichen, ihnen von der Regierung gestellten Auftrag vorbeizuarbeiten.

Die zugehörige Ordnerstruktur der Whistleblower-Plattform ist laut dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" fast identisch mit der auf Laufwerken des Ausschusses im Bundestag. Auffälligerweise habe sich aber eine mittlerweile gelöschte, derzeit noch über den Google-Cache abrufbare Datei darunter befunden, die dort nicht hingehöre und ursprünglich nur Mitgliedern der Ausschüsse für auswärtige und für EU-Angelegenheiten zugänglich gewesen sei. Der Kreis potenzieller Wikileaks-Informanten könnte also vergleichsweise klein sein – falls es sich nicht um eine gelegte falsche Spur handelt.

Die Obfrau der Linken im Ausschuss, Martina Renner, kritisierte die Koalition. Dass diese sich über das Datenleck derart empöre, folge "dem Kalkül einer rigiden Geheimhaltungspolitik im Interesse der Geheimdienste". Prinzipiell könnten die Papiere "ein wichtiges Korrektiv staatlicher Geheimhaltung" sowie eine Ressource für investigativen Journalismus sein.

Die Volksvertreterin fürchtet aber, dass das Leck die Bundesregierung in ihrem Ansinnen unterstützen könnte, ihre Auskunftspflicht gegenüber dem Parlament noch enger zu fassen. Die Aufklärung der Geheimdienstskandale würde damit weiter behindert. Der Grüne Konstantin von Notz betonte ebenfalls, dass Wikileaks den Untersuchern einen Bärendienst erwiesen habe. Parlamentarische Kontrolle und "alles öffentlich stellen" seien nicht dasselbe. (dz)