Gastbeitrag: Die Hoffnung stirbt zuletzt - kann ein reformiertes europäisches Urheberrecht ein besseres sein?

Endlich, so dachten viele: Die EU-Kommission stellte ihr Paket zur Reform des Urheberrechts vor. Es bekam jedoch schnell das Prädikat "besonders enttäuschend" verliehen. Klaus Müller, Vorstand des vzbv, sieht 6 Schritte für ein besseres Urheberrecht.

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  • Klaus Müller
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Nachdem Ende 2015 erste konkretere Vorschläge der Europäischen Kommission bekannt wurden, war es im September 2016 endlich soweit: Die Kommission hat ihr lang erwartetes Paket zum Urheberrecht vorgestellt. Prädikat: Besonders enttäuschend.

Leider, denn die Problemanalyse der Kommission ist überwiegend zutreffend. Die Institutionen der EU haben offenbar nicht die Kraft, daraus naheliegende Schlüsse zu ziehen. Das gilt nicht nur für die Europäische Kommission, sondern auch für den Rat und das Parlament. Kämpft die EU also beim europäischen Urheberrecht auf verlorenem Posten? Nicht unbedingt: Sechs Schritte in die richtige Richtung.

Ein Geastbeitrag von Klaus Müller

Seit 1. Mai 2014 ist Klaus Müller Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Von 2006 bis 2014 leitete Müller die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Zuvor war der Volkswirt in der Politik tätig: 2000 bis 2005 war er Umweltminister in Schleswig-Holstein, bis 2006 Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Von 1998 bis 2000 war Klaus Müller Abgeordneter des Deutschen Bundestags.

Warum scheint es sich bei der Urheberrechtsreform um einen nicht zu bewältigenden Kraftakt zu handeln? Exemplarisch für den schwierigen Prozess steht die Portabilitäts-Verordnung. Zumindest in der deutschen Öffentlichkeit fand sie wenig Beachtung, spiegelt jedoch das Kernproblem wider: Laut Portabilitäts-Verordnung dürfen Bürger der EU ihr bezahltes Online-Abonnement (zum Beispiel Netflix) aus ihrem Heimatland vorübergehend in ein anderes EU Land mitnehmen. Nachvollziehbar und eigentlich eine Selbstverständlichkeit des Binnenmarkts. Doch selbst dieser Vorschlag erfuhr heftigen Gegenwind, vor allem aus der Kreativwirtschaft.

Der Fall der Portabilitäts-Verordnung zeigt: Sachverhalte, die einer großen Mehrheit sofort einleuchten, werden angesprochen, angegangen und analysiert – nur um dann in einer Schockstarre zu verharren. Dabei geht es nicht darum, alles anders zu machen. Das Urheberrecht ist ein hoch komplexes Gebilde. Jedoch hat es durch die fortschreitende technische Entwicklung mittlerweile eine ganz andere Funktion in unserer Gesellschaft eingenommen. Und dieser gilt es endlich gerecht zu werden.

Das Urheberrecht war früher ein Spezialrecht zwischen Urheber und Wirtschaft. Diese Zeiten sind lange vorbei. Verbraucherinnen und Verbraucher sind nicht mehr nur Konsumenten. Sie gestalten, erstellen Inhalte und werden selbst zu Sendern und müssen dementsprechend in ein modernes Urheberrecht integriert werden. Immerhin als kleinen Erfolg können Verbraucherschützer verbuchen, dass Problemanalysen diese Einschätzung weitgehend teilen.

Das EU-Parlament kritisierte bereits, dass Verbraucherrechte im Urheberrecht oft nicht vorkommen. Die Kommission solle deshalb die Wirksamkeit des Urheberrechts aus Sicht von Verbrauchern prüfen. Was fehle seien klar verständliche Verbraucherrechte.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) kann dem vollständig zuzustimmen. Denn die geltenden Regelungen stammen aus der Steinzeit der Digitalisierung, also noch bevor Smartphones, E-Books und Streaming-Dienste zum Alltag gehörten.

Die letzten Impulse zur Fortbildung und Angleichung des Urheberrechts kamen ausschließlich durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zustande. Eine Entwicklung, die nicht immer im Sinne des Verbrauchers ausfiel. Die jüngsten Urteile zum Verlinken von Inhalten oder zu Abmahnkosten bei Betreibern von WLAN-Hotspots bezeugen dies.

Für Verbraucher stehen Nutzungsmöglichkeiten und Rechtssicherheit beim alltäglichen Umgang mit digitalen Inhalten im Vordergrund. Der Bedarf wäre deshalb groß gewesen, endlich eine flexiblere Schrankenregelung einzuführen. So könnten Alltagshandlungen wie zum Beispiel das Posten, Verlinken, Teilen oder Erstellen eines Bildes, Videos, Liedes oder Textes rechtssicher ermöglicht und zukünftige Nutzungsformen erfasst werden.

Hierfür müssen Urheber und Rechteinhaber natürlich angemessen vergütet werden. In der Diskussion geht es schließlich nicht um das Erschaffen einer Kostenloskultur.

Leider findet sich hierzu kein Wort in den Vorschlägen der Europäischen Kommission. Stattdessen soll europaweit ein Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse eingeführt werden. Dieses Leistungsschutzrecht existiert bereits seit 2013 in Deutschland, ist aber zu Recht sehr umstritten und wenig erfolgreich. Die Konsequenz: Die Rechtsunsicherheit für Verbraucher nimmt weiter zu. Und das, obwohl das Verlinken von Inhalten bereits nach geltender Rechtslage höchst kompliziert ist.

Bei der Diskussion zum Leistungsschutzrecht bleibt es aber nicht: Mit den Vorschlägen zur Einführung von Inhaltserkennungstechniken werden Vorabfilter für hochgeladene Inhalte auf Plattformen verpflichtend. Die Idee dahinter ist, etwaige Verletzungen von Urheberrechten zu unterbinden, bevor sie überhaupt entstehen.

So bestechend dies auch klingen mag: Ob Inhalte überhaupt von einer Plattform heruntergenommen werden müssen, ist häufig nur nach einer komplexen rechtlichen Prüfung zu entscheiden. Selbst Experten haben hier oft unterschiedliche Auffassungen. Wie sollen dann erst automatisierte Technologien entscheiden können, was erlaubt ist und was nicht?

Ein Nebeneffekt dessen könnte sein, dass die Kommission zusätzlich die Macht von Großkonzernen wie Googles YouTube zementiert. Denn diese verfügen bereits über entsprechende Technologie. Eine nachhaltige Förderung europäischer Startups sieht anders aus.

Wozu Filtertechnologien heute bereits im Stande sind, lässt sich recht gut an einem Debattenbeitrag der Europaabgeordneten Marietje Schaake illustrieren. YouTube entfernte Anfang Oktober einen Beitrag des Parlaments, offenbar weil das Wort Folter im Titel vorkam. Legale Inhalte, die dem kulturellen Austausch oder der Meinungsbildung dienen, könnten auf diesem Wege künftig herausgefiltert werden und somit nicht mehr in den öffentlichen Diskus gelangen. Eine Gefahr, die nicht unterschätzt werden darf.

Klar ist, dass geistiges Eigentum geschützt werden muss. Die Frage ist, ob Automatismen wie die oben beschriebenen nicht über das Ziel hinausschießen. Die Meinungsfreiheit oder das Recht auf Achtung der Kommunikation könnten auf der Strecke bleiben.

Auch das Thema Geoblocking bei digitalen Inhalten wie Videos bleibt umstritten. Eigentlich gibt es das Versprechen, Geoblocking endlich abzuschaffen. Der Vorschlag sieht vor, Verbrauchern Zugang zu Fernseh- und Hörfunkprogrammen aus anderen Mitgliedstaaten zu erleichtern.

Die Verordnung greift jedoch viel zu kurz: Erstens ist der Anwendungsbereich auf Rundfunkveranstalter wie ARD und ZDF begrenzt. Und für reine Video on Demand-Dienste wie Netflix sind lediglich freiwillige Verhandlungsmechanismen vorgesehen. Zweitens wurde eine Hintertür eingebaut: Rundfunkveranstalter dürfen Inhalte weiter blockieren. Begründet wird dies mit der Vertragsfreiheit. Das ist jedoch vollkommen kontraproduktiv, denn der legale und bezahlbare Zugriff auf Inhalte ist der effektivste Weg, um Online-Piraterie einzudämmen.

Stattdessen würde der Vorschlag abgeschottete Gebietsmonopole künstlich am Leben erhalten und Rechteinhabern eine Maximierung ihrer Gewinne ermöglichen. Aus Sicht des vzbv ist dies unvereinbar mit der Dienstleistungsfreiheit.

Aber es gibt auch Hoffnung: Das positive Votum im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments am 29. November 2016 deutet darauf hin, dass die Idee der Portabilitäts-Verordnung gerettet werden könnte. Verbraucher könnten bald bezahlte Video-Abonnements auch im EU-Ausland ansehen dürfen. (jk)