Neue Internet-Domains: Augen zu und durch...

Vor dem Unterausschuss Telekommunikation des US-Kongresses steht heute das Auswahlverfahren fĂĽr die sieben neuen Top Level Domains auf dem PrĂĽfstand.

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Von
  • Monika Ermert

Vor dem Unterausschuss Telekommunikation des US-Kongresses steht heute das Verfahren auf dem Prüfstand, mit dem die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) im vergangenen November sieben neue generic Top Level Domains (gTLD) ausgewählt hat. Auch wenn das Auswahlverfahren von vielen Beobachtern und vor den Ausschuss geladenen Experten als willkürlich bezeichnet wird, rechnet man allgemein nicht damit, dass der Kongress und das für den ICANN-Prozess verantwortliche Department of Commerce (DoC) die Eintragung von .biz, .info, .name, .pro, .aero, .coop, und .museum in die Root-Server stoppen werden.

"Stabilität, Stabilität und Stabilität", ist laut Vint Cerf das oberstes Motiv der ICANN bei der Entscheidung für eine nur allmähliche Öffnung des DNS. In seinem schriftlichen Statement für den Kongressausschuss sagte Cerf: "Ein wettbewerbsorientiertes Internet, das nicht funktioniert, ist nutzlos." Der ICANN-Vorstand hatte die sieben neuen Registry-Anbieter unter insgesamt 44 eingereichten Bewerbungen ausgewählt. Die abgelehnten Bewerber, die allesamt eine Gebühr von 50.000 US-Dollar für das Verfahren zu bezahlen hatten, wurden mit dem Hinweis auf weitere Runden zur Öffnung des DNS vertröstet.

Nicht alle fanden sich mit dem Auswahlverfahren in Marina del Rey ab, vor allem Domainprovider DotTV kündigte bereits unmittelbar nach der ICANN-Entscheidung ein Nachspiel an. Wie zu erwarten steht heute in Washington denn auch DotTV-Geschäftsführer Lou Kerner vor den Abgeordneten. DotTV hatte sich vergeblich um .pro beworben. Gehört werden auch Gewinner des Prozesses: So etwa Kenneth M. Hanson von der Firma NeuStar, die den Zuschlag für die offene TLD .biz erhielt. Die erfolgreichen Bewerber dürften aber kaum etwas gegen das Auswahlverfahren einzuwenden haben.

"Die Auswahlprozesse der ICANN waren amateurhaft und willkürlich", lautet dagegen das harte Statement des prominenten Juristen und ICANN-Kritikers Michael Froomkin. In seiner vorab publizierten schriftlichen Stellungnahme kritisierte er, dass die Bewerbungen keinesfalls gleich sorgfältig geprüft wurden und dass ICANNs Auswahlkriterien, soweit überhaupt vorhanden, völlig willkürlich zur Anwendung kamen. Den Bewerbern hätten außerdem keinerlei Chance gehabt, die in der Beurteilung entstehenden Missverständnisse gegenüber dem Vorstand aufzuklären. Froomkin kritisierte auch ICANNs Ansinnen, nur Bewerber mit gutem finanziellem Polster und absolut sicherer Technik auszuwählen. "Wenn im Jahr 1985 das Internet selbst als Vorschlag an ein Gremium gegangen wäre, das sich verhalten hätte, wie es die ICANN im Jahr 2000 getan hatte, wäre es wohl als zu riskantes Vorhaben abgelehnt worden."

Die korrekte Strategie bei der Einführung der neuen Domains wäre demnach die Zulassung aller Bewerber gewesen, die bestimmten, öffentlich bekannten Mindestkriterien entsprochen hätten. Ein solches Verfahren hätte auch eher zu ICANNs selbsterklärter Rolle als technisches Gremium gepasst, urteilt Froomkin. Der deutsche ICANN-Direktor Helmut Schink hatte kürzlich eingeräumt, dass man an einer Art "Standard" für die Einführung von neuen Domains erst noch arbeiten müsse. Später könne man über neue TLDs dann rein sachlich reden.

Auch die Frage nach der Repräsentativität und Legitimation der ICANN dürfte heute in Washington ein Thema werden. Ebenso wie Froomkin kritisert Alan Davidson vom Center for Democracy and Technology (CDT) die Tatsache, dass ICANN die fünf gewählten Direktoren an der Entscheidung bewusst nicht beteiligt hatte. "Obwohl wir nicht glauben, dass das Commerce Department und der Kongress bei dieser ersten Auswahlentscheidung eingreifen sollten, müssen sie ihre Rolle bei der Reform [der ICANN] wahrnehmen", heißt es im Beitrag von Davidson und CDT-Chef Jerry Berman. Bei Abwägung aller Aspekte sei ein Rollback der gTLD-Entscheidung aber sicher nicht im Interesse der Konsumenten.

Auch in Brüssel schätzt man, dass die ICANN mit einem blauen Auge davon kommt. "Wir rechnen nicht mit einer tatsächlichen Veränderung der Beschlusslage", sagte Christopher Wilkinson, der die EU im beratenden Regierungsbeitrag der ICANN (GAC) vertritt, gegenüber heise online. Immerhin: Sollte die US-Regierung Einfluss auf ICANNs Entscheidung nehmen und damit die Handlungsfähigkeit der als Organ internationaler Selbstregulierung gedachten Organisation einschränken, könnte daraus ein Problem entstehen. Nur zu gerne würden Europas Regierungen sich an der Aufsichtsfunktion, die sich die USA über den ICANN-Prozess noch vorbehalten haben, beteiligen oder diese bei einer internationalen Institution angesiedelt sehen. Denkbar ist aber eben auch, meinte Wilkinson, dass die ICANN ihre eigenen, internen Kontrollmechanismen – wie die Beteiligung gewählter Direktoren, die Einrichtung einer Art Berufungsinstanz und die Zusammenarbeit mit den GAC-Vertretern – verbessert. (Monika Ermert) / (jk)