33C3: Drohnenkrieg als Politik des ausgestreckten Mittelfingers

Der Ex-US-Militär Cian Westmoreland hat auf dem Hamburger Hackerkongress davor gewarnt, mit dem verteilten, strukturelle Probleme aufweisenden System unbemannter Luftschläge die Büchse der Pandora zu öffnen.

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33C3: Drohnenkrieg als Politik des ausgestreckten Mittelfingers

Cian Westmoreland auf dem 33C3

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Inhaltsverzeichnis

"Wir werden in den nächsten fünf Jahren autonome Killer-Roboter haben", prognostizierte Cian Westmoreland, vormals Kommunikationstechniker bei der US Air Force, am Dienstag auf dem 33. Chaos Communication Congress 33C3 in Hamburg. Vor allem die technische Plattform, die den Drohnenkrieg der USA antreibe, "öffnet die Büchse der Pandora für die künftige Kriegsführung", erläuterte der Insider der versammelten Hackergemeinde. Teil davon seien Tarnkappen-Kampfdrohnen wie das britische System Taranis, das derzeit vom Rüstungskonzern BAE entwickelt wird, sowie Schwärme unbemannter Flugobjekte oder kleinster Überwachungsroboter.

Derlei ausgefeilte Waffen, die ohne direkte menschliche Steuerung Ziele bis hin zu Tötungsmissionen auswählen und dann nur noch das Plazet einer Führungsperson brauchen, sind laut Westmoreland für den "Krieg gegen den Terror" in Ländern wie Afghanistan oder Jemen nicht nötig. Damit rüsteten sich die Akteure vielmehr für Auseinandersetzungen mit Mächten wie Russland oder China, die ähnlich wie Israel oder Indien eigene Programme für bewaffnete Drohnen vorantrieben. Parallel entstehe eine breitbandige Satelliteninfrastruktur, die "zehnmal mehr Kapazität" aufweise als die heutige. Dies bedeute: "Mehr Drohnen, eine bessere Bildanalyse und einen umfassenderen Krieg."

Westmoreland hat selbst nach eigenen Angaben mit rund 70 weiteren Experten den Kern der globalen Kommunikationsinfrastruktur aufgebaut, die den derzeitigen, mehr oder weniger geheimen Drohnenkrieg der USA ermöglicht. Diese verbindet die Informationsaufnahme mit Überwachungssystemen etwa an Bord von Drohnen selbst sowie sonstiger Funkaufklärung mit der Analyse der aufgenommenen Daten in speziellen Kommando- und Kontrollzentren im Westen. Dazwischen liegen Relaisstationen wie Ramstein in der Pfalz, über die Signale in beide Richtungen laufen.

Der Fachmann beschrieb das Drohnensystem als "eine Plattform, die Hellfire-Raketen ausliefert". Das "Gehirn" davon bilde eine eigene Aufklärungsinfrastruktur in Form sogenannter Distributed Ground Systems. Daran angeschlossen seien die Analysten für Kommunikations- und Videodaten sowie Verbindungs- und Standortinformationen nebst Dolmetschern, Rechtsexperten, die Piloten, die den Knopf drückten, und die Zuständigen für die Raketenzielsteuerung. Es handle sich insgesamt um ein weit "verteiltes System", mit dem auch die Verantwortung auf die Schultern vieler verteilt werde, was typisch sei für Tötungsmaschinerien.

Zu den "strukturellen Problemen" des Apparats zählt Westmoreland auch die Tatsache, dass die ganze eingesetzte Technik ein "falsches Vertrauen vermittelt, die Situation am Boden zu verstehen". Es fielen riesige Datenmengen an, die nur noch mithilfe von Algorithmen durchforstet werden könnten. Die Maschinen würden dabei etwa auf Männer mit violetten Hüten ausgerichtet, doch es gebe immer Situationen, in denen solche Merkmale nicht sonderlich aussagekräftig seien. Die militärischen Führer,
denen all die tollen Gadgets zur Verfügung stünden, könnten zudem häufig nicht mal richtig mit ihrer E-Mail umgehen.

Die Analysten wiederum führten ihre Arbeit in einer Art "Kill Box" in Militärstationen irgendwo im Mittleren Westen der USA, berichtete der Ex-Militär. Sie schliefen oft wenig und hätten während ihrer Schichten "fünfminütige Essenspausen". Zuhause schauten sie möglicherweise Nachrichten rechtslastiger Sender wie Fox News, die ihre Weltsicht bestätigten und ihnen den Eindruck vermittelten, über ihre Systeme vor allem Leute zu beobachten, die zumindest "kurz vor der Radikalisierung" stünden. Die einzige Verbindung zu diesen bestehe über ein paar Pixel auf dem Bildschirm anhand verwaschener Aufnahmen. Selbst ein Pilot könne aus der Luft heraus in direktem Sichtkontakt ein viel besseres Gespür für die Lage entwickeln.

Linguistische Besonderheiten wie der Umgang mit all den Akronymen, Abkürzungen und abwertenden Bezeichnungen etwa für nicht sofort Getroffene entmenschlichen laut Westmoreland den Tötungsprozess weiter. Potenzielle zivile Opfer würden dadurch genauso heruntergespielt wie der eigentliche Akt des "Meuchelmords", als den der einstige Beteiligte Drohnenschläge heute charakterisiert. Für viele Leute vor Ort, die Getötete in der Regel nicht als "Radikale" oder "Gefährder" wahrnähmen, werde die Hellfire von oben als "das ultimative Zeichen" interpretiert: "Fuck you, du hast es verdient zu sterben".

Gegenüber den US-Beteiligten heiße es von oben dagegen immer, es gehe darum, das Leben von US-Soldaten und Alliierten zu retten, weiß der Aussteiger. Drohnen seien letztlich Waffen, deren Einsatz sehr leicht falle, da er auf der eigenen Seite zunächst keine Menschenleben koste. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump und im Angesicht dessen "stark militarisierten" Kabinetts sei daher zu befürchten, dass der Einsatz dieses Kampfmittels auch im Inland weiter ausgebaut werde. Der Streit über Pipelines durch Indianergebiete in Nord-Dakota stehe für eine solche Militarisierung der inneren Sicherheit: Der US-Bundesstaat lasse bereits den Einsatz bewaffneter Drohnen durch die Polizei zu.

Westmoreland gehört zusammen mit anderen einstigen Beteiligten am US-Drohnenkrieg wie Brandon Bryant einer kleinen Gruppe von Whistleblowern an, die aus dem Militär ausgeschieden sind und öffentlich aus dem Nähkästchen des vermeintlich sauberen Technokriegs plaudern. Mit Petitionen etwa an den Bundestag versuchen sie, über die Bedeutung von Militäreinrichtungen wie Ramstein aufzuklären, auf stärkere Verantwortlichkeiten zu drängen und Teile der "kritischen Infrastruktur" für US-Drohnenschläge im Ausland dicht zu machen.

"Wir müssen die grundlegenden Menschenrechte schützen", gab Westmoreland als Losung aus. Teil der Arbeit der Gruppe sei es, über Reprive oder Veterans for Peace versöhnliche Gespräche mit Angehörigen von Opfern zu führen. Eine Patentlösung dafür, wie sich der Teufelskreis zwischen Hass, gezielten Tötungen, weiterer Radikalisierung und Terroranschlägen im Westen durchbrechen lässt, hat der Aktivist aber nicht parat. "Wir müssen die Erzählweisen umfassender gestalten", verdeutlichte er auf eine einschlägige Publikumsfrage kurz. Dabei gelte es, "postkoloniale" Prozesse im Hinterkopf zu behalten. Sonia Kennebeck, Regisseurin der im Mai in die deutschen Kinos kommenden Dokumentation National Bird, warb dafür, Journalisten und Hinweisgeber besser zu schützen: "Wir sind auf Whistleblower angewiesen." (ea)