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Was war. Was wird. Inmitten des Lebens von Sümpfen umgeben

Der tiefe Staat reüssiert, und gibt seltsamen Leuten Anlass zu seltsamen Hoffnungen. Dabei ist "Fake News" nur ein anderes Wort für das, was man früher Propaganda nannte. Und davon ließen sich auch schon intelligentere Leute nasführen, graut Hal Faber.

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Was war. Was wird. Inmitten des Lebens von Sümpfen umgeben

"Das Grauen. Das Grauen". Ja, der tiefe Staat lässt erschauern, Abgründe tun sich auf.

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die dicke Frau hat gesungen und das neue Jahr hat sich schon in der ersten Woche ganz prächtig entwickelt, auch wenn die Musike ausgeblieben ist. Aber da gibt es ja die Archive und wenn 2017 noch nicht liefert, kann der Mann mit dem Rock'n-Roll-Pullover von 1957 aushelfen, gesungen von der schlanken Frau. OK, heute trägt man weniger Pullover, mehr die scharfen Hoodies. Wobei es schwer die Frage ist, wer sich heute noch mit einem Julian Assange identifiziert, der fettes Geld für Leaks seiner Wahl bezahlen will und "Obama admin agents" sucht. Admin-Agenten, die zärtlich ihr vi-Magazin putzen, tauchen vor meinem geistigen Auge auf, während der Admin-Agent ins digitale Archiv des Machtwechsels eindringt und Wikileaks das Löse/Leakgeld auf 30.000 Dollar erhöht.

*** "Die Wahrheit über die Macht entgeht oft nicht deshalb den Volksmassen, weil der Staat sie absichtlich verheimlicht, sondern weil ihnen aus sehr viel komplizierteren Gründen der an die herrschenden Klassen gerichtete Diskurs des Staates nicht zugänglich ist." Dies hat ein gewisser Nicos Poulantzas über den "tiefen Staat" geschrieben, lange bevor sich ein Mitglied des Chaos Computer Clubs mit dem "tiefen Staat" beschäftigte und Snowden einen Haufen Dokumente verbreitete, die die Tiefenstruktur im US-amerikanischen Staatsgebilde verdeutlichten. Nun hofft Trumps neuer Weggefährte Julian Assange, dass der neue Präsident mit dem tiefen Staat aufräumt und nicht von ihm genasführt wird wie die Präsidenten vor ihm. So demonstriert Assange, dass er an die "drain the swamp"-Rhethorik von Trump glaubt, wo dieser drauf und dran ist, seinen höchst eigenen Swamp zu installieren.

*** Derweil hat der Staat in Gestalt seiner wichtigsten Geheimdienste das lang erwartete Attributionsdokument mit dem Befund "der Russe war's" veröffentlicht. Das ganze nur in gekürzter Form gegen über der "vollen Wahrheit", die Obama und Trump jeweils erfahren durften. So fehlen Hinweise auf die Mittelsmänner, die Material an Wikileaks übergaben, dafür ist nachzulesen, dass Russia Today arbeitet wie Radio Free Europe im Kalten Krieg. Was außerdem fehlt, ist eine schlüssige Erklärung für das Verhalten von FBI-Chef James Comey, der mit seinen Zweifeln Hillary Clintons Poistion schwer beschädigte. Auch er ein Russe? Oder ein Agent des tiefen Staates? Abgründe tun sich auf, oder wie es auf Englisch so wunderbar heißt, abysses open themselves:
"Moscow most likely chose WikiLeaks because of its self-proclaimed reputation for authenticity. Disclosures through WikiLeaks did not contain any evident forgeries."

*** Während sich Wikileaks unter Trump (in einem eilig gelöschten Tweet) mit dem offiziell assoziierten WikileaksTeam als neuer Auslands-Dienst "DOX" andient und Schweden mehrere 100 Seiten des aus dem Englischen ins Spanische übersetzten Verhörs mit Assange verschwedelt werden, bleibt eine Frage übrig. Es könnte ja sein, dass der "lupenreine Demokrat" Wladimir Putin (so jedenfalls der Twitterer Gerd Schröder auch im Fall von Edward Snowden so vorging, wie es das US-amerikanische Attributionsdokument beschreibt: stören, lästern und zuschlagen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Im Falle von Snowden kann man dem Autor Anatoly Kucherna folgen, der das Leben und Lieben von Edward Snowden in seinen Büchern verarbeitet. In "Zeit des Tintenfischs" kommt Snowden in Moskau an – und fährt mit einem Fahrstuhl tief hinab unter dem Hotelkomplex, wo der Geheimdienst seine Räume haben soll. Blühende Phantasie? Kucherna ist nicht nur Autor, sondern auch der russische Anwalt von Snowden.

*** Der tiefe Staat ist aber keine amerikanische Erfindung, wie uns Poulantzas in "Faschismus und Dikattur darlegte. Und "Drain the Swamp" ist auch eine deutsche Forderung: Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen. Das jedenfalls meint der "Bund deutscher Kriminalbeamter", der volles Verständnis für die in dieser Woche von Bundesinnenminister de Maizière vorgelegten "Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten" hat. Volles Verständnis, was schreib ich da, es ist übervollst und übervolltester, mit mehr, mehr, mehr-Gequengel wie der kleine Häwelmann fordert BDK-Vorsitzender Schulz nicht nur die Beseitigung des elenden Föderalismus bei Polizei und Verfassungsschutz, sondern zusätzlichen Rückenwind. Mehr rechtliche Befugnisse bei der Telekommunikationsüberwachung, weg mit dem überzogenen Datenschutz, frei Bahn für Deutschlands Kriminalisten. Ganz neu im Katalog der Begehrlichkeiten: Künstliche Intelligenz und Predictive Policing mit maximalst möglichen Daten: "Interessant wird es erst werden, wenn die Polizei die Big-Data-Möglichkeiten ausschöpft und diese Massendaten mit personenbezogene Daten, also hauptsächlich Täterdaten, verknüpft". An die das verhindernden Datenschutz- und anderen Gesetze traut sich keiner heran? Na, dann ändern wir sie mal fix und foxi, denn die Gefährder sind unter uns. Siebenmal wurde in dem mächtigen Staatsmachtapparat, dem Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ, über Amri diskutiert und nichts passierte. Das schreit nach neuen Gesetzen.
"'Jeder kennt das Gesetz' ist die grundlegende Maxime eines modernen juristischen Systems, in dem außer den Repräsentanten des Staates es keiner kennen kann. Diese von jedem Staatsbürger verlangte Kenntnis ist nicht einmal Gegenstand eines besonderen Schulfachs. /.../ Das moderne Gesetz ist ein Staatsgeheimnis und begründet ein Wissen, das von der Staatsräson in Beschlag genommen wird." (Nicos Poulantzas)

Was wird

Wir schreiben das Jahr 2017 und sehen ein Wahljahr vor uns, in dem "der Russe" sehr aktiv wird und Tote Propaganda-Pferde geritten werden wie sonst nur in Winnetou. Trendforscher erschüttern uns mit der Nachricht, dass der Mensch in diesem Jahr seinen Verstand benutzen muss, ähem, wir für unsere Welt- und Katzenbilder verantwortlich sind. Die Lage ist unübersichtlich, die 20 Vorschläge, wie man in Trumps Amerika überleben kann wenig tröstlich: "Lassen Sie sich und Ihrer Familie Reisepässe ausstellen." Auch deutsche Meisterdenker geben sich wenig tröstlich und beharren auf dem Behalten des Verstandes als subversive Aktion im Zeitalter der Fake-klärung.

Da der Ausgang noch 246 Tage entfernt ist, ist die Nostalgie irgendwie verständlich, mit der die Kulturforscher von heute auf das Jahr 2000 blicken und auf diese Zukunft blicken, dabei den "wichtigen Einblick in die Gedankenwelt und die Diskurse der technischen Hochmoderne" erhaltend, "LGBTQIA*-Emanzipationsbestrebungen" inklusive. Gut, anno 2000 dachte zumindest IBM noch nicht daran, das ehrwürdigen Logo bunt zu machen oder die Unisex-Toiletten der Deutschen Bahn als Befreiung vom Genderzwang zu feiern. Wo ist eigentlich das versprochene Medikament für Depressionen aller Art?

In der anstehenden Woche gibt es weniger Angebote für Retrofuturisten denn für Journalisten, vulgo auch Datenhehler genannt. Denn viele , die noch investigativ arbeiten, müssen mit Dateien bzw. Daten umgehen können, die geleakt sind. Damit stehen sie unter der Fuchtel des neuen Gesetzes § 202d StGB zur Datenhehlerei, ein überaus moderner Ausdruck des runderneuerten Staatsgeheimnisses im Sinne von Poulantzas. Wie lässt sich eine Situation der Rechtsunsicherheit abwenden, die Informanten abschrecken und damit journalistische Recherchen behindern könnte?. Das fragen sich nicht nur die Reporter ohne Grenzen.

Optimistisch, wie diese kleine Wochenschau gestartet ist, geht es 2017 weiter, natürlich mit dem ultimativen Lied zum Lobe des Algorithmus. Einmal in einem Computerprogramm implementiert, findet er den einen von vielen Milliooonen – und die Liebe ist auch noch inkludiert. (jk)