Das Soziometer

Mit "Humanyze" können Firmen den Arbeitsalltag ihrer Angestellten dokumentieren. Ob durch eine solche Live-Überwachung die Leistung wirklich besser wird, bezweifeln Experten jedoch.

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Von
  • Malte Buhse

Ben Wabers große Erfindung sieht recht unscheinbar aus: ein kleiner grauer Kasten an einem roten Band. Doch die Box hat es in sich: zwei Mikrofone, Bluetooth- und Infrarotempfänger sowie ein Bewegungssensor. Geht es nach Waber, werden wir alle schon bald mit dieser Werkzeugkiste voller Sensoren um den Hals durchs Büro laufen. Die von ihm 2011 gegründete Firma Humanyze ist der Star einer neuen Art von Start-ups, die das Prinzip von Fitnessarmbändern und Smartwatches auf den Büroalltag übertragen wollen. "Viele Unternehmen sammeln detaillierte Daten über ihre Kunden, wissen aber erstaunlich wenig über ihre Mitarbeiter und Arbeitsabläufe", sagt Waber.

Das will der Informatiker mit seiner Box ändern. Sie kann zwar keine Gesprächsinhalte aufnehmen, wohl aber erkennen, ob jemand schneller und lauter als sonst spricht. Zudem erfasst das Gerät Gesten und stellt dank eines Bewegungssensors sogar fest, wie nah sich zwei Gesprächspartner gegenüberstehen. Dadurch lasse sich Kommunikation genau analysieren, sagt Waber. Das Humanyze-Team schickte in der Testphase Freiwillige mit der Box zu einem Date oder Vorstellungsgespräch. In den aufgezeichneten Daten entdeckte es nach und nach deutliche Muster, die anzeigen, ob ein Gespräch gut läuft oder nicht. Schließlich konnten die Entwickler sogar vorhersagen, ob es zu einem zweiten romantischen Treffen kommen würde und ob jemand den Job bekomme.

Humanyze kann aber noch mehr: Über kleine Bluetooth-Sender im Büro lässt sich ein Bewegungsprofil der Box und damit ihres Trägers erstellen. Dabei sei genau geregelt, wer Zugriff auf welche Daten hat, versichert Waber. Nur der Träger selbst könne seine eigenen Daten abrufen, Führungskräfte erhielten lediglich eine anonymisierte Zusammenfassung. So würden sie sehen, welche Büroräume oft ungenutzt bleiben oder wie oft sich Teams zu Besprechungen treffen. "Mitarbeiter können sich live an ihren Karrierezielen messen und Manager proaktiv Probleme erkennen", verspricht Humanyze auf seiner Webseite.

Klaus M. Schmidt, Ökonom an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht eine derartige Live-Überwachung im Büro sehr skeptisch. Zusammen mit Ernst Fehr und Björn Bartling von der Uni Zürich stellte er in einem Experiment fest, dass diejenigen, die während der Arbeit nicht kontrolliert wurden, bessere Ergebnisse ablieferten. "Gerade in gut bezahlten und hoch qualifizierten Jobs bekommen Angestellte häufig große Freiheiten eingeräumt", sagt Schmidt. "Und das funktioniert: Oft setzen sich Arbeitnehmer dann besonders für ihr Unternehmen ein."

Ben Waber sieht seine Box aber nicht als Überwachungsinstrument, sondern als Mittel zur Selbstoptimierung. Die Arbeitnehmer trügen es, um selbst herauszufinden, wo sie sich verbessern könnten. "Im Durchschnitt machen über 90 Prozent der Angestellten sofort mit – und zwar freiwillig", sagt Waber. Bisher befindet sich das System allerdings erst in der Testphase bei einigen amerikanischen Unternehmen – genaue Zahlen lässt Humanyze nicht verlauten.

In den USA wird Datenschutz jedoch relativ locker gesehen. In Europa und vor allem in Deutschland würde sich das Unternehmen wohl schwertun, sagt Peter Wedde, Arbeitsrechtler mit dem Schwerpunkt Datenschutz an der Frankfurt University of Applied Sciences. Um seinen Angestellten Ben Wabers Box umzuhängen, müsste ein Unternehmen hierzulande erst die individuelle Zustimmung jedes Angestellten einholen oder den Betriebsrat überzeugen.

Dennoch experimentieren immer mehr Unternehmen mit Wearables: Vor Kurzem hat Wedde ein Industrieunternehmen beraten, das testweise in der Produktion Datenbrillen eingeführt hat. Die Arbeiter konnten damit zum Beispiel Konstruktionsanleitungen direkt im Sichtfeld aufrufen. "Allerdings ließ sich anhand der aufgezeichneten Videos unter anderem auch genau bestimmen, wie schnell jemand arbeitet", sagt Wedde. "Das zeigt: Es müssen immer klare Regeln aufgestellt werden, wie die Daten aus den Wearables genutzt werden dürfen und wie nicht." (bsc)