Wearables: Wie viele landen in der Schublade?

Smartwatches und andere tragbare Geräte galten als das Smartphone der Zukunft. Was für ein Irrtum.

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Von
  • Eva Wolfangel

Ausgerechnet Wearable-Pionier Thad Starner hat sich verrechnet. Smartphones würden sich bald überholt haben, sagte er vor einigen Jahren voller Überzeugung, als er die Google-Brille mitentwickelte. "Sie sind für mich ein Rückschritt." Die Zukunft seien Wearables, Kopfdisplays wie die Google Glass oder sein selbst entwickeltes System, das er seit mehr als 20 Jahren nutzt: eine klobige Brille, verbunden mit einem über die Jahre immer kleiner werdenden Computer, den er irgendwo am Körper trägt. Aber irgendwas ging schief an dem Plan: Die Google-Brille floppte bei den Verbrauchern, das Smartphone erfreut sich bis heute großer Beliebtheit.

Wer den Zahlen der großen Beratungsgesellschaften folgt, könnte tatsächlich meinen, das Smartphone würde bald durch Wearables aller Art abgelöst. Aber die Zahlen sind trügerisch: Die Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) diagnostizierte zum Beispiel dem deutschen Markt für Smartwatches von 2013 auf 2014 ein Wachstum von 614 Prozent. Kunststück – Smartwatches waren 2013 quasi noch nicht existent für Konsumenten.

Samsungs Galaxy Gear kam im September 2013 auf den Markt – zwei Jahre vor der Apple Watch – und gilt als eine der ersten Uhren, für die sich auch Kreise jenseits der Geeks interessierten. Doch schon zwei Monate später musste Samsung zugeben, geschummelt zu haben: Statt der verkauften wurden ausgelieferte Geräte angegeben. 2015 gaben 17 Prozent der 1041 Teilnehmer einer PwC-Online-Umfrage an, ein Wearable zu besitzen. Wenn man bedenkt, dass jedes Fitnessarmband als Wearable zählt und Krankenkassen sie sogar verschenken, erscheint diese Zahl erstaunlich klein.

Das große Versprechen der Wearables scheint ausgerechnet beim meistverkauften Produkt, den Fitnessarmbändern, nicht aufzugehen: Die kleinen Computer fügen sich nicht so unauffällig in den Alltag ein, dass wir sie ständig dabei haben. "Die meisten landen nach ein paar Monaten in der Schublade", sagt Gerhard Tröster, Leiter des Elektronik-Labors der ETH Zürich. "Die Quantified-Self-Welle wird schnell wieder abebben." Fitnessarmbänder seien kaum für den Massenmarkt geeignet. "Vielleicht ist das Smartphone schon das perfekte Wearable, wir haben es ja immer in der Hosentasche." Es übernimmt größtenteils die gleichen Aufgaben wie Wearables – aber es kann eben noch viel mehr.

Auch die laut International Data Corporation (IDC) knapp zwölf Millionen verkauften Smartwatches dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Markt die Hoffnungen der Hersteller nicht erfüllt. So gingen die Verkaufszahlen der Apple Watch im vierten Quartal 2015 lediglich um fünf Prozent nach oben. Und was nicht unter dem Weihnachtsbaum punktet, gilt als wenig erfolgreiches Produkt.

Woran liegt es? Trotz aller hochtrabenden Pläne hat sich das Display der intelligenten Uhren in der Praxis als zu klein zum Interagieren erwiesen. Die meisten funktionieren nur in Kombination mit dem Smartphone, was dem Mobiltelefon zusätzlich Auftrieb verschafft. Den Wearables fehlt einfach die Tastatur. Viele Hersteller setzen nun auf Sprachsteuerung. Doch der Erfolg ist ungewiss. Noch gilt es als peinlich, in der Öffentlichkeit Sprachbefehle à la "Ok Google" von sich zu geben.

So blieb für die Smartwatch keine eigene Nische. Überspitzt gesagt besteht ihre Funktion lediglich darin, den Nutzer am Handgelenk über eingehende Mails auf dessen Smartphone zu informieren. Und das muss zum Lesen oder gar Beantworten der Mails ohnehin hervorgeholt werden. Viele stellen sich die Frage: Soll ich dafür mehrere Hundert Euro ausgeben?

"Die Smartwatch wird sich nicht durchsetzen", sagt Achim Hepp, der eine Agentur für digitale Kommunikation gegründet hat. "Sie ist ein industriegetriebenes Thema." Auch er sieht keine eindeutigen Anwendungen, die den Nutzern einen echten Vorteil bringen. Dazu kommt der Trend unter jüngeren Menschen, ihr Smartphone und damit verbundene Geräte nicht zu nutzen, wenn sie mit Freunden oder Kollegen zusammen sind. Sie wollen nicht, dass sich ihre digitalen Assistenten etwa mitten im Gespräch am Kneipenabend aufdrängen.

Nicht zuletzt haben die Smartphones inzwischen aufgerüstet: Die Sensoren werden immer besser und vielfältiger. Es gibt immer mehr Apps für die Spezialinteressen einzelner Zielgruppen, sodass Herzkranke beispielsweise ihren Puls und Diabetiker ihren Blutzucker messen können. Die nötigen Erweiterungen wie Blutzucker-Messgeräte fungieren nur als verlängerter Arm des Smartphones: Sie verbinden sich via Bluetooth oder USB-Anschluss mit dem Gerät, eine App übernimmt das Management, führt eine Art Tagebuch und berechnet die nötige Insulindosis. "Als Patient trägt man das gern, weil man einen echten Nutzen hat", sagt Oliver Amft, Professor für Sensortechnologie an der Uni Passau. "Anders als die Gadgets, die nach ein paar Monaten in der Schublade landen".

Der Psychologe Philip Santangelo vom Karlsruher Institut für Technologie erforscht aktuell, inwiefern sich allein mittels der Daten, die ein Smartphone aufzeichnet, Symptome des Borderline- Syndroms erkennen lassen. "Menschen tun sich schwer, ihre eigenen Stimmungsschwankungen während der vergangenen Wochen einzuschätzen", erklärt Santangelo. "Liefe so etwas über das Smartphone, wäre das eine große Erleichterung." Algorithmen würden aus Daten wie Bewegungen, Umgebungslicht, Lautstärke, Kalendereinträgen und Anrufen berechnen, wann sich eine Krise anbahnt – und dann eine Warnung an den Therapeuten schicken.

Durch die Protokollierung so vieler Daten wird das Smartphone allerdings zu einem noch perfekteren Spion. Gerade im Gesundheitsbereich warnen immer mehr Experten davor, Daten allzu leichtfertig herauszugeben. Verbraucher könnten also in Zukunft durchaus sensibler und zurückhaltender werden.

Unbefriedigend ist auch, dass jeder Anbieter sein eigenes Format hat – was es dem Nutzer erschwert, die Plattform zu wechseln. Daten sind untereinander kaum kompatibel. Das bremst auch die viel beschworene Motivation durch Gamification aus: Wenn Nutzer Selbst-Tracking wie einen Wettbewerb betreiben und sich gegenseitig anstacheln, zum Beispiel noch ein paar Kilometer mehr zu joggen, geht das nur, wenn die Mitstreiter die gleiche Plattform nutzen.

Zudem haben viele Wearables von Fitness-Trackern bis hin zu intelligenten Uhren die Erwartungen bitter enttäuscht: Die meisten sind nicht klinisch getestet und lagen in Vergleichsversuchen häufig weit daneben. Gesundheitsexperten finden das nicht weiter verwunderlich. "Am Handgelenk kann man vieles nicht so genau messen", sagt Jörg Ottenbacher, Geschäftsführer beim Karlsruher Start-up Movisens, das Trackinggeräte für die physiologische Forschung entwickelt. Eine mögliche Lösung, die Movisens mitentwickelt hat: ein Pflaster, das Nutzer 48 Stunden auf der Brust tragen. Es erstellt ein Elektrokardiogramm (EKG) und misst unter anderem Herzfrequenz, Beschleunigung und Temperatur. Mit der Auswertung erhalten die Nutzer später Tipps, was sie an ihrem Lebensstil zugunsten ihrer Gesundheit verändern können.

Das ist natürlich weit entfernt von der Vision, welche die großen Wearable-Hersteller gern verbreiten: schicke kleine Geräte, die uns durchs Leben begleiten, unsere Probleme lösen und dabei möglichst wenig auffallen. Ein Pflaster zu tragen ist nicht so richtig sexy. Folgerichtig haben Forscher in der Vergangenheit immer wieder damit experimentiert, kleine Computer in Kleidungsstücke oder gar direkt in den Stoff einzuarbeiten.

Der nächste logische Schritt ist, die Elektronik unter die Haut zu bringen: Dort ist sie genau an der richtigen Stelle, um physiologische Daten zu messen. Experten setzen große Hoffnungen in Implantate. So neu ist die Idee im Grunde gar nicht: "Ein Herzschrittmacher ist auch ein Wearable", sagt Achim Hepp. Gerade chronisch Kranke könnten aus seiner Sicht von Implantaten profitieren, die deren Gesundheit überwachen.

Sollten Implantate an Bedeutung gewinnen, ist das Smartphone vermutlich endgültig vor dem Untergang gerettet: Denn die eingepflanzten Teile brauchen schließlich eine Bedienplattform außerhalb des Körpers. "Smartphones werden sich dann über die zugehörige Software definieren und ihre Konnektivität mit Implantaten", sagt Hepp. Und wenn sich die Hersteller der vielen kleinen Geräte schließlich doch auf eine Sprache einigen könnten, dann erobern womöglich auch Wearables noch einen sicheren Platz auf dem Markt – wenn auch anders als derzeit prophezeit. (bsc)