Russischer Sender NTW verliert Kampf um Unabhängigkeit

Die alte Führung des Kreml-kritischen Privatsenders NTW hat ihren Kampf um Unabhängigkeit gegen den mächtigen russischen Konzern Gasprom verloren.

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  • dpa

Die alte Führung des Kreml-kritischen Privatsenders NTW hat ihren Kampf um Unabhängigkeit gegen den mächtigen russischen Konzern Gasprom verloren. Der vom Staat kontrollierte Energiekonzern übernahm am frühen Samstagmorgen im Handstreich das Sendezentrum des landesweit ausgestrahlten Fernsehkanals im Norden Moskaus. "Der KBG ist wieder an der Macht und lässt nun auch die unabhängigen Medien in Reih und Glied antreten", kommentierte der Duma-Abgeordnete und Menschenrechtler Sergej Kowaljow das Geschehen.

Die im Protest gegen den Hauptaktionär Gasprom zunächst scheinbar geeinte NTW-Belegschaft brach auseinander. Von den insgesamt 400 Redakteuren hätten spontan etwa 40 die Zusammenarbeit mit der neuen NTW-Führung verweigert, meldeten die Nachrichtenagenturen. Den Sender verlassen viele Starjournalisten. "Uns bleibt keine andere Wahl", sagte die populäre Moderatorin Swetlana Sorokina. Der US-Medienunternehmer Ted Turner hatte vor einem Bruch in der Redaktion gewarnt, der eine von ihm angekündigte "Rettung der Unabhängigkeit von NTW" durch Millionen-Investitionen sinnlos mache.

Der seit Monaten in aller Schärfe ausgetragene Eigentümerkonflikt zwischen dem in Spanien unter Hausarrest stehenden NTW-Gründer Wladimir Gussinski und dem Gasprom-Tochterunternehmen Gasprom-Media endete ohne Gewaltanwendung. Gasprom-Kräfte lösten ohne Zwischenfälle die Wachmannschaft der alten NTW-Führung gegen 2.00 Uhr MESZ im Sendezentrum ab und verweigerten Mitarbeitern den Zutritt. Bereits um 8.00 Uhr MESZ ging die neue NTW-Belegschaft auf Sendung. Zeitgleich sendeten die Vorgänger ihre Nachrichten über den Spartenkanal TNT.

Der Vorsitzende des staatlichen Fernsehsenders RTR und einstige Mitbegründer von NTW, Oleg Dobrodejew, gab als Reaktion auf die Ereignisse seinen Rücktritt bekannt. Die alte NTW-Garde hatte in den vergangenen Wochen große Demonstrationen für NTW und die Pressefreiheit in Moskau und St. Petersburg organisieren können, erhielt aber keine massenhafte Unterstützung in der Bevölkerung.

Der Chef der Reformpartei Jabloko, Grigori Jawlinski, kritisierte die Übernahme als "gewaltsame Besitzergreifung" und kündigte an, den Fall NTW im Europarat zur Sprache zu bringen. Andere Politiker begrüßten dagegen das Ende des Konflikts. Der von Gasprom Anfang April eingesetzte neue NTW-Generaldirektor Boris Jordan bezeichnete die Übernahme als "friedliche Aktion". Der Anführer des Protestes, Ex-Chefredakteur Jewgeni Kisseljow, befand sich nach Angaben seiner Mitarbeiter im entscheidenden Moment auf einer Dienstreise.

Gasprom macht beim NTW-Mutterkonzern Media-Most Kredite in Höhe von etwa einer Milliarde US-Dollar geltend. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte zu Wochenbeginn im Gespräch mit Bundeskanzler Gerhard Schröder in St. Petersburg betont, beim Streit um NTW gehe es weniger um Pressefreiheit als um einen Eigentümerstreit. "Es ist wichtig, einen Kanal zu erhalten, der die Macht kritisiert", sagte der bei Gasprom für die Übernahme von NTW zuständige Ex-Vizeregierungschef Alfred Koch in einem Zeitungsinterview. (dpa) / (jk)