Ex-BND-Chef im NSA-Ausschuss: "Wir haben nichts zu verbergen"

Beim Bundesnachrichtendienst habe ein Qualitätsmanagement gefehlt, räumte der frühere Behördenleiter Gerhard Schindler im Bundestag ein. Von Skandalen um Selektoren wollte er nichts wissen, zum Kanzlerinnen-Handy nicht viel sagen.

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Der Skandal erreicht den Bundestag

(Bild: Deutscher Bundestag / Simone M. Neumann / NSA)

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Gerhard Schindler, langjähriger Präsident des BND, wollte sich am Donnerstag im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags nicht den Schuh anziehen, dass weite Teile des Auslandsgeheimdienstes lange Zeit ein schwarzes Loch gebildet hätten und dem Parlament wichtige Vorfälle vorenthalten worden seien. Dass die NSA dem deutschen Partner etwa zehntausende illegitime Zielvorgaben insbesondere zu EU- und Nato-Institutionen untergejubelt habe, sei "kein großer Skandal" gewesen. Ihm zufolge ging es bei der Aufarbeitung dieser Affäre auch nur um "reine Vergangenheitsbewältigung".

Die umstrittenen Selektoren hätten nicht "durchgeknallte BND-Leute" einfach in die Abhörsysteme eingestellt, unterstrich der 64-Jährige bei seiner inzwischen dritten Vernehmung durch die Abgeordneten. EU-Länder hätten sich teils auch schon im Auftragsprofil der Behörde befunden. Er habe zudem den damaligen Kanzleramtsleiter Ronald Pofalla gleich nach der Ansage von Regierungschefin Angela Merkel (CDU) im Oktober 2013, dass Ausspähen unter Freunden gar nicht gehe, über erste kritische Funde unter den NSA-Suchmerkmalen informiert. Mit diesem Gespräch sei für ihn das Thema zunächst mehr oder weniger erledigt gewesen.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Das gewaltige Ausmaß der Selektoren der US-Seite, die gegen deutsche Interessen verstießen, war Schindler zufolge damals aber noch nicht absehbar. Er habe daher zunächst in Absprache mit Pofalla eine mündliche Weisung erteilt, gegen die Merkel-Parole verstoßende BND-Zielvorgaben zu deaktivieren. Bei der damit ausgelösten Säuberungsaktion seien "sukzessive tausende Selektoren gelöscht worden". Parallel sei ab einer gewissen Phase eine "Quarantänenliste" für faule NSA-Suchmerkmale erstellt worden, über die er ebenfalls hin und wieder im Kanzleramt berichtet habe.

Der ganze Umfang der vom BND aufgrund der NSA-Vorgaben ausgeforschten Ziele wurde laut dem Verwaltungsjuristen aber erst ersichtlich, als die zuständige BND-Abteilung Technische Aufklärung die Ablehnungsliste im März 2015 aufgrund eines Beweisbeschlusses des Ausschusses ausgedruckt habe. Erst danach habe sich der neue Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) bei einem Besuch in Pullach über die Selektorenmisere aufklären lassen. Vorher habe er mit diesem nicht speziell darüber gesprochen, da er angenommen habe, dass ihn dessen Mitarbeiter bereits informiert hätten.

Als die Affäre etwa einen Monat später öffentlich wurde, kritisierte das Kanzleramt in ungewohnter Schärfe "technische und organisatorische Defizite" beim BND. Sie führte letztlich mit dazu, dass Schindler seinen Hut nehmen musste. "Ich kenne keine Ereignisse, die zu meiner Ablösung geführt haben", war sich der Geschasste aber keiner Schuld bewusst. Auch eine "Selektorenprüfgruppe von Herrn Altmaier" sagte ihm nichts. Gefehlt habe schlicht ein Qualitätsmanagement im Sinne von: "Ich drücke auf einen Knopf und weiß, wie viele und welche Selektoren ich gesteuert habe." Dies hätte es dem Dienst erspart, mühsam die Suchmerkmale einzeln durchzuarbeiten.

Als "Mutter aller Probleme" machte Schindler die geheime Vereinbarung mit der NSA zur Kooperation in Bad Aibling aus, "die im Grund im Bundesnachrichtendienst keiner kannte". Dieses Memorandum of Agreement sei nicht in klare Handlungsanweisungen umgesetzt worden. So sei nie klar geregelt worden, "was zu beachten ist, wenn amerikanische Selektoren reinkommen". Ein maschineller Filter sei zwar programmiert worden, Kennungen Deutscher auszusortieren. Ein vergleichbares System für die EU oder die Nato habe es nicht gegeben. Dass das Material einfach so durchgelaufen sei ohne die mittlerweile wieder aktivierte zusätzliche "händische" Prüfung, "war eine der Sollbruchstellen".

"Erst nachdem wir die Dimension der abgelehnten NSA-Selektoren gesehen hatten", war Schindler zufolge auch klar, dass der Vorfall auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) berichtet werden müsse. Dies sei im Frühjahr 2015 dann erfolgt, wobei er im Mai erstmals auch das "Sonderproblem" der vom BND mit eigenen Merkmalen "gesteuerten" Freunde und Partner erwähnt habe. Nachfragen habe es dazu aber zunächst nicht gegeben; erst Monate später setzte das Gremium dazu eine gesonderte "Task Force" ein.

Dass Schindler das System der parlamentarischen Kontrolle vor ihrer jüngsten Reform in einer Diskussionsrunde im Herbst als "grottig" bezeichnet hatte, stieß den Abgeordneten übel auf. "Wir haben nichts zu verbergen", versicherte ihnen der Zeuge nun. Der BND erhebe auch keine Informationen, um damit Politik zu machen. Schwierig gewesen sei es aber angesichts der knapp bemessenen Zeit der Kontrollorgane, selbst Prioritäten festzulegen, über welche Dinge man zunächst die Bundesregierung und dann die Volksvertreter in Kenntnis setze. Künftig könne die BND-Spitze dies vorher mit einer weiteren "unabhängigen" Instanz besprechen.

Der frühere Behördenchef konnte sich an keine Runde mit der Fach- und Dienstaufsicht erinnern, in der es um das offenbar von der NSA abgehörte Mobiltelefon der Kanzlerin ging. Dieser Fall sei "wohl einmal in meiner Abwesenheit" Thema gewesen, gehe prinzipiell aber auch vor allem die Spionageabwehr an, die sich damit aber auch nicht groß befasste.

Ermittelt hat der BND laut Schindler aber im Oktober 2013 im Umfeld des Handy-Skandals, dass er es nicht selbst war, der das Mobilgerät über die NSA-Selektoren anvisiere. "Hundertprozentig" war sich der Vernommene hier sicher, zumal die Maschine ja generell deutsche Nummern herausschmeiße. Dass die Kennung sich unter den rund fünf Prozent der Zielvorgaben befunden habe, die der BND gar nicht entziffern konnte, schloss der Insider aus. Diese hätten sich auf Router oder Server bezogen. Insgesamt habe er keine Besprechung mit der Kanzlerin in der gesamten Frage der Snowden-Veröffentlichungen geführt. (mho)