Die Siedler von Utopia

2024 will das Raumfahrtunternehmen SpaceX die ersten Menschen zum Mars bringen – ohne Rückticket. Wie wäre es, dort zu leben? Das Tagebuch eines Pioniers.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christian Honey

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab sofort im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

HEBRUS-VALLES-MARSBASIS, MERCURII, 11. KARKA, MARSJAHR 221

Liebe Schwester,

wir sind jetzt seit zehn Monaten auf dem Mars, und noch immer habe ich mich nicht an den Darischen Kalender gewöhnt, der hier die Tage zählt. Ich möchte ihn dir kurz erklären: Der Kalender beginnt im Geburtsjahr des Astronomen Johannes Kepler vor 222 Marsjahren. Mercurii ist unser vierter Wochentag. Bis auf zwei haben alle Marsmonate 28 Sol, wie wir die Marstage nennen. Das sind 669 Sol pro Marsjahr (687 Erdentage), die auf 28 Monate verteilt sind. Der Karka ist der sechzehnte. Bei euch ist heute Sonntag, der 25. Januar 2026. Winter in Berlin! Mein Gott, würde ich gern den Schnee fühlen.

Bei uns ist gerade Herbst. Auch der Mars hat seine Jahreszeiten, schließlich reist auch er geneigt auf seiner Achse um unsere Sonne, mit 25,19 Winkelgrad sogar etwas stärker als die Erde. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt bei uns minus 60 Grad Celsius. Im Winter fällt die Temperatur schon mal unter minus 100 Grad, und im Hochsommer, wenn die Sonne senkrecht auf uns scheint, steigt sie bis auf 30 Grad plus. Heute Abend sind es minus 35 Grad.

Unsere Station liegt inmitten der Ebene Utopia Planitia, etwa 1100 Kilometer west-südwestlich des toten Vulkans Elysium Mons. Im Jahr 1978 ist nördlich von hier der Lander der Viking-Sonde gelandet und hat erste Bilder vom Mars zur Erde geschickt. Vor Jahrmilliarden war die Utopia Planitia vermutlich ein Binnensee. Im Jahr 2016 hat der Mars Reconnaissance Orbiter unter der Utopia Planitia riesige Vorkommen von Wassereis gefunden, so viel wie der Lake Superior in Nordamerika. Das war einer der wesentlichen Gründe dafür, warum SpaceX und die Nasa Hebrus Valles als Lande- und Erkundungszone wählten.

Vorgeschlagen hatte Hebrus Valles ein Team um Dirk Schulze-Makuch von der TU Berlin. „Die Höhlen rühren von unterirdischen Flüssen her, die dort wahrscheinlich einmal geflossen sind“, hatte er mir auf einem der vielen Vorbereitungslehrgänge erklärt. „Es könnte dort noch immer flüssiges Wasser geben und damit Mikroben, die überlebt haben.“

Auf einer Erkundungsfahrt mit dem Rover haben Pete (der Botaniker), Clara (die Ärztin) und Jonathan (der Ingenieur) eine solche Höhle in 22 Kilometern Entfernung entdeckt. Sobald die nächsten sechs Kolonisten ankommen, werden wir die Höhle erkunden. Nicht nur Mikroben, sondern auch uns könnte sie vor der kosmischen Strahlung und den heftigen Temperaturschwankungen schützen. Alternativ könnte eine der untermarsischen Lavaröhren, die es hier ebenfalls gibt, uns Marssiedlern einmal Unterschlupf bieten.

Jedenfalls dann, wenn es mit dem 3D-Drucker nichts wird. Mit einer der nächsten Missionen soll einer ankommen, um aus dem vulkanischen Gestein neue Habitate zu drucken. Den Wettbewerb dazu hatte die Nasa 2016 ausgeschrieben. Ich glaube ja nicht so recht daran. Aber wir werden sehen. Im Moment bewohnen wir noch die Wohnsilos, die Roboter bei einer vorbereitenden Mission hier aufgestellt haben.

Direkt nach unserer Ankunft haben wir uns in die Arbeit gestürzt. Deshalb komme ich auch erst jetzt dazu, dir zu schreiben. Wir haben beispielsweise unsere Station mit Marsboden bedeckt, als Schutz gegen Sonnenwinde und kosmische Strahlung. Das war eine Mordsarbeit mit den sperrigen Raumanzügen. Zum Glück hatten die Ingenieure für unseren Rover eine zerlegbare Baggerschaufel aus diesem tollen Carbonfaser-Verbundwerkstoff konstruiert, die leicht genug für den Raketentransport war. Sonst würden wir noch heute schaufeln.

Dein Bruder Jasper

(rot)