Kommentar: Erfolg und Niederlage von Open Access

Der freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen sollte die Forschung demokratisieren. Tatsächlich ist das wissenschaftliche Publizieren auch bei Open Access ein Geschäft weniger großer Verlage.

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Kommentar: Hat Open Access die Karten neu gemischt?

(Bild: Sebastien Wiertz / Flickr / cc-by-2.0)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Ulrich Herb
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Derzeit kann man an über 60 deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen nicht auf Publikationen des Wissenschaftsverlags Elsevier zugreifen. Im Rahmen des Projekts "DEAL" haben die Bibliotheken ihre Verträge mit Elsevier gekündigt beziehungsweise nicht verlängert, um günstigere Konditionen zu bekommen.

Verlage wie Elsevier, Springer Nature oder Wiley erwirtschaften mit den Abogebühren ihrer wissenschaftlichen Zeitschriften zwischen 30 und 40 Prozent Gewinn. Dabei wird die Öffentlichkeit gleich mehrfach zur Kasse gebeten: Die Forschung selbst ist überwiegend aus Steuermitteln finanziert, staatlich besoldete Forscher arbeiten unentgeltlich als Autoren und Gutachter für die Verlage, und trotzdem müssen die Bibliotheken viel Geld aus sinkenden Hochschulmitteln für die Ergebnisse dieser Arbeit ausgeben.

Ein Kommentar von Ulrich Herb

Ulrich Herb ist Informationswissenschaftler, Open-Access-Experte an der Universität des Saarlandes und freiberuflicher Wissenschaftsberater. Sein Kommentar ist erschienen in der neuen Ausgabe von Technology Review.

Die Verhandlungen zwischen DEAL und Elsevier scheiterten im Dezember 2016. Betroffene Bibliotheken versorgen ihre Wissenschaftler nun mit Fernleihen und Dokumentlieferdiensten. Auch der widerrechtliche Artikelversand durch Forscher mit Zugriff auf Elsevier-Publikationen an Kollegen floriert, genauso die Nutzung illegaler Schattenbibliotheken wie Sci-Hub.

All dies wirkt wie ein Treppenwitz angesichts der Hoffnung, Open Access – der entgeltfreie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen – könne die Verbreitung von Forschungsergebnissen erleichtern. Wenn ein einziger Verlag im Jahr 2017 die Informationsversorgung in die prädigitale Ära zurückversetzen kann, wie erfolgreich war dann Open Access?

Studien schätzen den Open-Access-Anteil an wissenschaftlichen Artikeln derzeit auf gerade einmal zehn bis zwanzig Prozent. Knapp die Hälfte davon stammt von nur drei Verlagen: Elsevier, Springer Nature und Wiley. Die üblichen Verdächtigen haben den Markt also weiterhin im Griff.

Eine Änderung scheint nicht in Sicht. Im Gegenteil: Seit Beginn der Open-Access-Bewegung vor rund 15 Jahren nahm die Konzentration unter den Wissenschaftsverlagen sogar noch zu.

Denn so, wie Open Access derzeit gehandhabt wird, ist für Verlage immer noch viel Geld zu holen. Nur zahlen eben nicht die Abonnenten eines Journals, sondern Forschungsinstitute, die ihre Ergebnisse dort veröffentlichen wollen. Eine Publikation kann bis zu 7500 Euro kosten. Damit nicht genug: Österreichische Forschungsförderer haben sogar eine Gebührensteigerung von rund 30 Prozent innerhalb eines Jahres festgestellt. Im Vergleich dazu nehmen sich die jährlich relativ konstanten Preissteigerungen von rund sechs Prozent für Kauf oder Lizenzierung wissenschaftlicher Journale vergleichsweise moderat aus.

Diese Mechanismen wecken Zweifel an der Vorstellung, Hochschulen könnten kostenneutral vom bisherigen Modell zu Open Access wechseln, indem sie die Mittel einfach umschichten. DEAL zeigt: Die Kräfteverhältnisse am Publikationsmarkt haben sich kaum geändert. Das spürt man nicht nur hier, sondern auch in Peru, Taiwan und Finnland, wo ähnliche Verhandlungen mit Elsevier feststecken.

Will man dies ändern, sollte man nicht überhöhte Artikelgebühren kommerzieller Verlage finanzieren, sondern community-getriebene Open-Access-Angebote wie die epi-journals der Mathematik. Diese sollen keinen Gewinn erwirtschaften, funktionieren ansonsten aber wie Journale der kommerziellen Verlage: Ihre Qualität hängt allein von Herausgebern, Autoren und Gutachtern ab – und die dürfte zum Beispiel bei den epi-journals gegeben sein. Deren Gründer Timothy Gowers ist Gewinner der Fields Medal, eine Art Nobelpreis für Mathematiker.

Dieser Kommentar stammt aus der neuen Ausgabe der Technology Review (ab sofort im Handel und im heise shop erhältlich). (jle)