Bürgerrechtler: Bund muss Whistleblower gesetzlich besser schützen

Das Whistleblower-Netzwerk hat die Politik nachdrücklich aufgefordert, ihren internationalen Verpflichtungen zum Schutz von Hinweisgebern auf Missstände endlich nachzukommen. Bis dahin soll ein Fonds aushelfen.

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Bürgerrechtler: Bund muss Whistleblower gesetzlich besser schützen
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Die schwarz-rote Regierungskoalition im Bund darf nach Ansicht des Whistleblower-Netzwerks nicht länger Däumchen drehen, was den besseren gesetzlichen Schutz von Hinweisgebern betrifft. Die umstrittene, im Frühjahr beschlossene EU-Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und von Geschäftsgeheimnissen "zwingt den deutschen Gesetzgeber, nachzubessern in diesem Punkt", erklärte Klaus Hennemann, früherer Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht, am Freitag auf einer Veranstaltung des Vereins in Berlin. Dafür blieben nur noch etwa 18 Monate Zeit, was angesichts der nahenden Bundestagswahl knapp werden könnte.

52 Nichtregierungsorganisationen hatten im Mai zwar kritisiert, dass die von der Richtlinie vorgesehenen Schutzmaßnahmen für Journalisten, Gewerkschaftler oder Whistleblower, die interne Informationen aus einem Unternehmen veröffentlichen, unzureichend seien. Die vorhandenen Mängel und Definitionsschwächen sieht Hennemann aber als kein großes Problem: Bundesregierung und Bundestag hätten hier die Befugnis und die Pflicht, schwammige Formulierungen im Sinne der genannten Gruppen zu präzisieren. Hinweisgeber müssten im gleichen Maße abgesichert werden wie Betriebsgeheimnisse.

Die neuen EU-Vorschriften sieht das Netzwerk als letztes Druckmittel, um den Gesetzgeber zum Jagen zu tragen. Schon seit Jahren beklagt der Verein "massiven Nachholbedarf" hierzulande, da es entgegen auch anderer internationaler Vorgaben bislang keinen systematischen, gesetzlich allgemeinen Whistleblower-Schutz gebe. Dies ließ sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) voriges Jahr noch einmal mit einem Rechtsgutachten bestätigen.

Nicht nur Übereinkünfte der Vereinten Nationen oder der OECD wie der UN-Zivilpakt verlangten "externe und interne Meldewege im Arbeitsverhältnis bis hin zu verfahrensrechtlichen Vorschriften" für Hinweisgeber, fasste Marta Böning aus dem DGB-Bundesvorstand die Ergebnisse zusammen. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention und das darin verankerte Recht auf Meinungsfreiheit machten einen besseren Schutz von Mitarbeitern unerlässlich, die Alarmglocken läuten wollen. Es fehle "im Grunde alles" in diese Richtung, nachdem mehrere Initiativen der Oppositionsparteien sowie einzelner Bundesministerien "in der Regel am Widerstand der CDU" gescheitert seien.

So kommt es laut Hennemann etwa zu der vertrackten Situation, dass Staatsanwälte einerseits gegen das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und andererseits gegen einen Friedensaktivisten wegen Verletzung des Gesetzes zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb ermittelten, nachdem dieser über Flugblätter Mitarbeiter zum Reden aufgefordert hatte. Auch das "Beschlagnahmeverbot" sei "schlampig" gefasst, ergänzte der Vize des Netzwerks, Johannes Ludwig. Gerichte hätten so eine Mitnahme von Materialien eines Hinweisgebers bei einer "Ombudsfrau" für rechtens erklärt.

Auch beim umkämpften Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung und zum Verbot der Datenhehlerei, gegen das zahlreiche Verfassungsbeschwerden und andere Klagen laufen, stelle der mangelhafte Schutz von Journalisten, Anwälten und Whistleblowern ein großes Problem dar, unterstrichen die Aktivistin Katharina Nocun und der Berliner Richter Ulf Buermeyer. Generell stehen dessen Ansicht nach vor allem Beamte vor erheblichen Risiken, da sie keine Dienstgeheimnisse verletzen dürften und daher im Gegensatz zu Mitarbeitern von Firmen besonders leicht strafbar gemacht werden können.

Bis Regierung und Parlament zu Potte kommen, hat der Dresdner Immobilienentwickler Markwart Faußner einen Rechtshilfefonds für Whistleblower initiiert. "Menschen, die ihrem Gewissen folgen und für die Gesellschaft viel tun, werden nicht ordentlich behandelt", beklagte der Unternehmer, der im Sommer 2015 auf einem Privatgelände in der Elbstadt einen Edward-Snowden-Platz einweihte. "Wir wollen die Leute jetzt ermutigen, dass sie sich an die Öffentlichkeit wenden und Missstände melden."

Mit dem Fördertopf, der zunächst 25.000 Euro umfasst, bei Bedarf aber deutlich aufgestockt werden soll, will das Netzwerk potenzielle Whistleblower beraten, über mögliche Folgen bis hin zum Jobverlust aufklären und Prozesskosten etwa am Arbeitsgericht übernehmen. Voraussetzung dafür ist Faußner zufolge, dass der aufgedeckte Missstand von großer gesellschaftlicher Relevanz ist, der Enthüller ein hohes persönliches Risiko trägt und uneigennützig handelt.

Inge Hannemann, die eine Sanktionsquote für Hartz-IV-Empfänger bei Regelverstößen in Jobcentern aufdeckte, bezeichnete ein Whistleblower-Gesetz als große Hilfe: "Da wäre ich nicht aus dem Amt herausgeflogen und zwangsversetzt worden." Sie selbst sei gebrandmarkt und werde "keinen anderen Arbeitsplatz mehr bekommen". Firmen antworteten ihr oft offen auf Bewerbungsschreiben: "Whistleblower stellen wir nicht ein." Rainer Moormann, der auf Lücken in einem Versuchsreaktor in Jülich hinwies, musste im Nachgang zwar nur Schikanen, aber keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen ertragen. Trotzdem erhofft er sich von einem einschlägigen Gesetz, dass Benachteiligungen verboten würden und sich der Druck auf Arbeitgeber erhöhe, internen Winken nachzugehen. ()