Kommunizieren mit Gedanken

Das so genannte Locked-In Syndrom schneidet Menschen zum Teil komplett von der Außenwelt ab. Ein Team um einen deutschen Hirnforscher hat für sie jetzt eine Möglichkeit gefunden, trotzdem zu kommunizieren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 7 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Antonio Regalado
Inhaltsverzeichnis

Jahr 1995 erlitt Jean-Dominique Bauby einen schweren Schlaganfall, nach dem er sich nicht mehr bewegen und nicht mehr sprechen konnte – lediglich sein linkes Augenlid konnte er noch schließen. Allein damit diktierte er im Stillen seine Memoiren, Schmetterling und Taucherglocke, die später zu einem Film adaptiert wurden.

Bauby litt unter dem so genannten Locked-In Syndrom, bei dem Patienten mit Ausnahme von einigen Augenbewegungen vollständig gelähmt sind. Manche Betroffene können irgendwann nicht einmal mehr zwinkern, so dass sie jeglichen Kontakt zur Außenwelt verlieren. Dies wirft die Frage auf, ob sie überhaupt noch bei vollem Bewusstsein sind und ob sie, falls das so ist, am Leben bleiben wollen.

Mit Hilfe einer neuartigen Hirn-Computer-Schnittstelle haben sich Forscher um Professor Niels Birbaumer, emeritierter Hirnforscher an der Universität Tübingen, jetzt einer Antwort auf diese Fragen angenähert. An der Studie nahmen vier Patienten teil, die durch amyotrophe Lateralsklerose (ALS) jegliche Bewegungsfähigkeit verloren hatten.

Mehr Infos

Als Reaktion auf die Aussage "Ich liebe das Leben" kam von dreien der vier Probanden ein Ja, ebenso wie bei der Frage "Sind Sie glücklich?". Bei der vierten Patientin, einer 23 Jahre alten Frau, wurden keine offenen Fragen gestellt, weil ihre Eltern fürchteten, sie sei emotional nicht stabil genug dafür.

Die von Birbaumer, jetzt am Wyss Center for Bio and Neuroengineering tätig, entwickelte Schnittstelle wird aufgesetzt wie eine Badekappe. Sie misst Veränderungen bei den elektrischen Wellen, die vom Hirn ausgehen, und mit Hilfe einer Technik namens Nahinfrarotspektroskopie auch den Blutfluss.

Um zu verifizieren, dass die vier Patienten kommunizieren können, bat das Team von Birbaumer sie über einen Zeitraum von zehn Tagen, mit einem gedachten Ja oder Nein auf Aussagen wie "Sie sind in Berlin geboren" oder "Paris ist die Hauptstadt von Deutschland" zu reagieren. Die von dem System ermittelten Antworten waren in 70 Prozent der Fälle korrekt, eine deutlich über reinen Zufallstreffern liegende Quote.

Laut Birbaumer waren Familienmitglieder "enorm erleichtert" darüber, dass sie nach bis zu vier Jahren totaler Stille mit ihren Angehörigen wieder kommunizieren konnten und so erfuhren, dass diese weiter am Leben gehalten werden wollen. Die Ergebnisse wurden Ende Januar in der Fachzeitschrift PLOS Biology veröffentlicht.

Erstmals berichtete im Jahr 2010 der britische Neurowissenschaftler Adrian Owen, Veränderungen des Blutflusses in bestimmten Hirnregionen könnten zeigen, dass ein als in einem vegetativen Zustand steckend abgeschriebener Patient in Wirklichkeit noch bei Bewusstsein ist.

Wie viele Menschen in sich selbst eingesperrt sind, weiß niemand genau, sagt Jane Huggins, Leiterin des Direct Brain Interface Laboratory an der University of Michigan. Laut einer Schätzung von Forschern für die Niederlande sind es weniger als einer von 150.000 Menschen in diesem Land.

In manchen Fällen könnten Betroffene fälschlich als im Koma liegend diagnostiziert werden, weil sie ihre Augen nicht oder kaum merklich bewegen können. Birbaumer und sein Team geben an, ihr System solle als Diagnosemethode eingesetzt werden, um festzustellen, wer noch bei Bewusstsein ist. Im nächsten Schritt wollen sie eine Technologie entwickeln, mit deren Hilfe Menschen mit vollständigem Locked-In Syndrom Buchstaben auf einem Bildschirm auswählen können. Dadurch könnten sie dann weitergehender kommunizieren als nur mit Ja/Nein-Antworten.

(sma)