Post aus Japan: Mensch = Tier + Technik

Der Forscher Hiroshi Ishiguro wurde global mit seiner Roboterkopie bekannt. Nun versucht er, Automaten salonfähig zu machen – und mit einer einfachen Gleichung die Angst des Menschen vor ihnen aufzulösen.

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Von
  • Martin Kölling
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Jahrelang wurde der japanische Robotikwissenschaftler Hiroshi Ishiguro belächelt. Er hatte Roboterkopien von sich und anderen lebenden und verstorbenen Menschen sowie einige andere humanoide Roboter angefertigt. Doch einen wirklichen Durchbruch konnte er nicht vorzeigen. Doch dies scheint sich jetzt zu ändern.

Ishiguro arbeitet nach eigener Aussage nicht nur mit zehn Firmen an kleinen Kommunikationsandroiden für den Einsatz in Familien. Diese Woche hat der Grundlagenforscher in Sachen humanoider Robotik sogar erstmals eines seiner größeren Kunstwesen verkauft. Von nun an wird seine Roboterelfe Telenoid in einem Altersheim in Miyagi Dienst tun, erklärte Ishiguro.

Bei Telenoid handelt es sich um einen kleinkindgroßen Telepräsenzroboter mit Stummelarmen, Silikonkörper und kahlem Kopf, dessen Bewegungen halbreflexhaft-halbferngesteuert sind. Die Bedienperson kann im Nebenraum oder sonstwo auf der Welt sitzen und dann Stimme und Bewegungen per Netz auf den Roboter übertragen sowie durch dessen Kameraaugen die Umgebung des Roboters wahrnehmen.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Besonders geeignet ist der Roboter für den Einsatz im Altersheim dadurch, dass demente Menschen, die sonst kaum noch mit Menschen kommunizieren, plötzlich mit dem Roboter sprechen, erklärt Ishiguro. Die menschliche Fantasie lege dann sozusagen ein Antlitz über das kahle Antlitz, so dass sich Kommunikation mit dem Roboter auf einmal sehr natürlich anfühle. Ich habe es vor ein paar Jahren einmal ausprobiert. Und wenigstens bei mir wirkte es – auch ohne Demenz.

Telenoid im Einsatz (7 Bilder)

Mensch oder Roboter: Roboterforscher Hiroshi Ishiguro (links) wurde mit seinen robotischen Abbildern bekannt.
(Bild: Hiroshi Ishiguro Laboratory, ATR)

Die ersten Erfolge stärken Ishiguros Traum von der Roboterwelt: "In der nahen Zukunft werden wir eine Robotergesellschaft entwickeln", meint er heute. Auch für Androiden sieht er dabei Raum und nicht nur für in der Cloud versteckte Künstliche Intelligenz, die über andere Schnittstellen wie Amazons Echo mit den Menschen verkehrt. Denn das humanoide Interface sei immer noch am besten für uns Menschen.

Amazon Echo und andere Geräte dieser Art sind für ihn sehr amerikanische Produkte, lediglich schlichte Verlängerungen bestehender, akzeptierter Technologie. Aber er kritisiert erstens, dass sprechende Reiskocher und Autos auf Menschen komisch wirken. Es sei wie Alice im Wunderland, so der Robotologe.

Zweitens ist für ihn die Spracherkennung noch immer nicht gut genug, um diese Geräte zu sehr viel mehr als dem Wechseln des Musikkanals zu verwenden. "Wir Menschen können das gesprochene Wort auch nicht immer perfekt verstehen und benutzen daher auch andere Formen der Kommunikation", erklärt Ishiguro. So müsse es letztlich auch der Roboter beherrschen, damit wir die noch nicht perfekte Technik auch wirklich akzeptieren.

Seine Vision: Am besten sollten die Roboter auch einen eigenen Eigensinn besitzen, damit sie Wünsche und Begierden von Menschen besser verstehen. Bis allerdings dieser maschinelle Menschenversteher kommt, setzt auch Ishiguro auf einfachere und vor allem billigere Varianten.

Das Interessanteste bei Ishiguros Arbeit sind für mich allerdings nicht die Roboter an sich, sondern sein Antrieb. Andere Roboterwissenschaftler entwickelten Humanoide, weil sie mit Roboter sprechen wollen, sagt er. "Ich interessiere mich für Menschen, ich will verstehen, was uns Menschen ausmacht."

Damit beschäftigt er sich nicht ganz zufällig mit einer der Kernfragen der technischen Entwicklung: Was passiert mit unserer Definition vom Menschsein, wenn unsere Kreationen uns vielleicht schon bald nicht mehr nur in einzelnen Fähigkeiten, sondern auch im Denken übertreffen?

Viele Menschen fürchten diese Entwicklung. Beziehen wir dann unser Gefühl der Überlegenheit aus der Tatsache, dass wir fehleranfälliger, unperfekter als Maschinen sind? Werden wir uns der Superintelligenz unterwerfen oder von ihr unterjocht? Ishiguro hat eine Definition des Menschseins parat, die uns Menschen wenigstens langfristig das Überleben und vielleicht Trost sichert, in gewisser Weise wenigstens: Mensch = Tier + Technik.

Der Mensch ist für ihn das einzige Wesen, das sich nicht nur durch genetische Mutationen weiterentwickeln kann, sondern auch durch den Einsatz von Technik. Bisher macht die Technik zwar größtenteils vor unserer Außengrenze, der Haut, halt. Aber die Menschheit ist inzwischen auf einer Stufe, in der auch wir sogar höhere Funktionen als den Herzschrittmacher in unsere Körper einbauen können.

Dass Cyborgs denkbar werden, macht vielen Menschen Angst. Aber mit Ishiguros Definition ist die technische Aufrüstung vielleicht mental rationalisierbar. "Ein Körper aus Fleisch ist keine Voraussetzung zum Menschsein", meint der Wissenschaftler, "die Grenze zwischen Roboter und Menschen wird verschwinden." ()