"Heiße Tech-Aktien sind wie Lotterie-Lose"

Kapitalhungrige Wachstumsunternehmen sind riskant und liefern im Durchschnitt trotzdem nur mäßige Renditen. Mit rationalen Überlegungen lässt sich das nicht mehr erklären, wie eine aktuelle Studie zeigt.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Sascha Mattke
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Eigentlich klingt es wie eine Binsenweisheit: Technologie-Unternehmen, die immer wieder neues Kapital aufnehmen und hohe Summen investieren, ohne damit rasch Geld zu verdienen, sind keine gute Geldanlage. Gekauft werden sie an der Börse anfangs oft trotzdem, weil Anleger darauf hoffen, dass auf die hohen Investitionen irgendwann in der Zukunft auch hohe Gewinne folgen werden. Doch wie eine neue Studie zeigt, geht diese Rechnung in den meisten Fällen tatsächlich nicht auf – die hochriskanten Tech-Aktien werfen über lange Zeiträume durchschnittlich nicht mehr Rendite als stocklangweilige US-Staatsanleihen.

In ihrer Studie "Sexy or Safe: Why do Predicted Stock Issuers Earn Low Returns?" versuchen Charles M.C. Lee und Ken Li von der Stanford Graduate School of Business, die Gründe für das angesichts der eindeutigen Datenlage irrationale Verhalten von Anlegern zu erklären. Ihre Hypothese: Kapitalhungrige Wachstumsunternehmen kommen an der Börse ganz einfach deshalb gut an, weil sie "auffälliger" oder "glamouröser" sind als andere. Irgendwann aber können sich die meisten dieser Aktien der nüchternen Realität nicht mehr entziehen und stürzen ab, was die niedrige Langfristrendite erklärt.

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Um ihre Vermutung zu untermauern, nahmen Lee und Li eine Reihe von komplizierten statistischen Tests vor. Zunächst stellten sie anhand von historischen Daten fest, welche Unternehmen sich in der Vergangenheit durch hohe Investitionen und mäßige Profitabilität auszeichneten. Diese so genannten HILP-Unternehmen (für "high investment, low profitability") müssen definitionsgemäß gelegentlich neues Kapital aufnehmen, weil ihre Reserven sonst irgendwann erschöpft wären. Und der Zeitpunkt für solche Kapitalerhöhungen ist natürlich dann günstig, wenn der Aktienkurs gerade relativ hoch ist und eine Aufwärtsdynamik zeigt.

Anhand dieser Kriterien – Investitionen, Profitabilität, Bewertung und Kursdynamik sowie zusätzlich Unternehmensgröße – definierten Lee und Li eine Gruppe, die sie als "Predicted Stock Issuers" (PSI) bezeichnen, also Unternehmen, die mit der höchsten Wahrscheinlichkeit früher oder später erneut frisches Geld von Anlegern brauchen.

Wie die weiteren Analysen zeigten, spricht sachlich eigentlich nichts dafür, diese Papiere zu kaufen: Im ersten Jahr nach dem Analyse-Stichtag entsprach die mit ihnen erzielbare Rendite genau der von US-Staatsanleihen, die als die sichersten Papiere der Welt gelten, im zweiten Jahr lag sie sogar 0,2 Prozentpunkte darunter und im dritten immerhin 0,8 Prozentpunkte darüber. Im gesamten Betrachtungszeitraum von 1978-2013 war die Durchschnittsrendite dann wieder genau so hoch wie bei den Staatsanleihen.

Neben schlichter Irrationalität wäre eine mögliche Erklärung dafür, dass die PSI-Aktien eine gewisse Absicherung von größeren Depots ermöglichen, weil sie sich anders verhalten als der Gesamtmarkt, also steigen, wenn alles andere fällt, und umgekehrt. Aber Fehlanzeige: "Bei schwachen Marktlagen entwickelt sich das PSI-Portfolio deutlich schlechter", schreiben die Forscher. Und auch die Möglichkeit, dass PSI zumindest eine gewisse Konjunkturunabhängigkeit bieten, schließen sie statistisch aus.

Lassen sich Anleger also schlicht von spannenden Wachstumsstorys, die ihnen von den Unternehmen selbst, Analysten und Medien erzählt werden, zu ungeschickten Investitionen verleiten? Es sieht stark danach aus. "Unsere Ergebnisse sprechen sämtlich deutlich für die Hypothese der Fehlbewertung", halten Lee und Li fest.

Als Erklärung bleibt damit nur noch die Verhaltensökonomik, also nicht die Frage, ob Anleger irrational agieren, sondern warum. Hierzu erwähnen die Forscher, dass Menschen stark dazu neigen, auffällige Signale überzubewerten und statistisch nützliche, aber dezente, zu wenig zu berücksichtigen. Und aus der Neuen Erwartungstheorie ist bekannt, dass Anleger systematisch Aktien bevorzugen, die sich durch eine geringe Wahrscheinlichkeit für einen extrem hohen Gewinn auszeichnen – "wie bei einem Lotterie-Los", schreiben Lee und Li.

Die meisten dieser behavioristischen Ansätze sind schon seit Jahrzehnten bekannt. Insofern ist verwunderlich, dass PSI-Unternehmen mit ihren Geschichten immer noch so lange durchkommen. Möglicherweise beruht das auf einem weiteren verhaltensökonomischen Phänomen, nämlich der Selbstüberschätzung: Anlegern könnte durchaus bewusst sein, dass die Chancen bei kapitalhungrigen Wachstumsunternehmen im Durchschnitt mäßig sind. Aber vielleicht sind sie trotzdem der Überzeugung, dass es ausgerechnet ihnen gelingen wird, an der Börse das neue Facebook zu erwischen statt eine Verlierer-Aktie wie Twitter.

(sma)