Post aus Japan: Mit Nanozellulose zum Großtrend

Von Akkus über Flüssigkristalldisplays bis hin zu Großrechnern – Nippon hat schon in vielen Technologien Märkte erobert, wenigstens für einige Zeit. Nun versucht die "Japan AG", diesen Erfolg auch bei neuartigen Fasern zu wiederholen.

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Von
  • Martin Kölling
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Wenn ein japanisches Unternehmen Autobauern ein neues Material vorstellt, sollte man aufmerken. Wenn Japans Medien es sogar zum Konkurrenten für Stahl und Kohlenstoffverbundwerkstoffe erklären, entsteht vielleicht wirklich ein neuer Star unter den Werkstoffen. Und in diesem Fall heißt der Kandidat zugespitzt Holz, genauer Zellulose-Nanofasern.

Dabei handelt es sich um Zellulose, die zu unter 100 Nanometer dicken Fasern kleingeheckselt wird. Und der japanische Werkstoff-, Baumaterial- und Pharmahersteller Asahi Kasei beginnt jetzt, seinen Kunden einen Zellulose-Nanofaserfilm vorzustellen. Der Papierproduzent Oji ist dem Rivalen sogar etwas voraus. Denn das Material ist der Werbung zufolge fünfmal leichter und fünfmal stärker als Stahl – und könnte damit auch im Autobau interessant werden.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Wenn die Nachfrage stimmt, könnte Asahi Kasei 2020 die Massenproduktion aufnehmen. Richtig große Massen, versteht sich. Schon die Autoindustrie ist groß. Und sie ist nur ein Teil der möglichen Einsatzgebiete für die Fasern aus nachwachsendem Rohstoff. Die Zellulosenfasern sind wahre Alleskönner, wie Nippon Paper, einer der derzeit größten Hersteller der kleinen Fasern, auf seiner Homepage erklärt.

Klein und stark seien die Fasern, ultrafein mit großer Oberfläche, geringer Ausdehnung bei Erwärmung, hoher Wirksamkeit als Gasbarriere und interessanter Zähflüssigkeit in Wasser. Zudem werden sie als umweltfreundlicher als Kohlenstoff-Nanopartikel angepriesen, da letztere aus Erdöl gewonnen werden.

Inzwischen kommen auch immer mehr Produkte mit dem neuen Material auf den Markt. In Japan gibt es schon Windeln, in denen die Minifasern den Uringeruch mindern. Mitsubishi Pencil verkauft Kugelschreiber mit Zellulose-Nanofibertinte. Aber das Zellulosederivat kann auch als Bindemittel in Speisen oder Kosmetik eingesetzt werden, in Lebensmittelfolien oder Schutzfilmen für Displays.

Der Ansatz hat einen klassischen Grund: Wieder einmal versucht Japan, in einer Technik die Weltmarktführerschaft zu erobern. Das Rezept ist das gleiche wie bei Lithiumionen-Akkus, Flüssigkristalldisplays oder Großrechnern – Felder, die Japan wenigstens eine Zeit lang dominiert hat. Die Idee mag nicht aus Japan stammen. Doch sobald sie Potenzial zu haben scheint, stürzen sich die Firmen gleich im Dutzend auf das neue Gebiet. Gefördert von der Regierung hofft die "Japan AG" dann, mal wieder einen neuen lukrativen Wachstumsmarkt dominieren zu können.

Bis 2030 könnte der Weltmarkt fast zehn Milliarden Euro ausmachen, schätzt das Ministerium für Handel, Wirtschaft und Industrie. Noch reizvoller wird der neue Werkstoff dadurch, dass dadurch Japans darbende Holzindustrie aufgeforstet werden könnte. Denn das rohstoffarme Land hat eine Ressource im Überfluss: Wald. Mit einer Bewaldung von fast 70 Prozent ist Japan ähnlich baumreich wie Schweden oder Finnland. Nur wird er derzeit wenig zum Gelderwerb genutzt und stellt zudem ein Gesundheitsproblem dar.

Der Grund ist nicht, dass es keine Industriewälder aus schnell wachsenden Nadelhölzern gebe. Nach dem Krieg wurde der natürliche Mischwald in Japans Bergen großflächig mit Sicheltannen und Hinoki ersetzt. Nur werden sie seit Jahrzehnten kaum intensiv bewirtschaftet, da später billige Holzimporte zu einem Kahlschlag in der lokalen Forstindustrie führte und nicht im Wald. Und so strecken sich Bäume immer majestätischer empor und emittieren immer mehr Pollen, die dann bei den Städtern in den Ebenen in jedem Frühjahr epidemisch Heuschnupfen auslösen.

Doch bis dieses Problem durch Zellulose-Nanofasern zurückgestutzt werden kann, muss noch eine wichtige Hürde gemeistert werden: der Preis. Mit Produktionskosten von 40 bis 80 Euro pro Kilo ist das Material noch zwei bis dreimal so teuer wie Kohlenstofffasern. Von Stahl braucht man gar nicht zu reden. Aber je mehr Firmen sich auf die Produktionstechnik stürzen, desto tiefer sollten die Kosten fallen. Japan hat damit vorerst einen weiteren Hoffnungsträger in seiner Industriepolitik.

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