Retten Handys die deutsche Lyrik?

Lyrik aus dem Handy: Die SMS soll Literaturgeschichte schreiben.

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Von
  • Holger Dambeck

Teenager, die selbstvergessen Textbotschaften in ihr Handy tippen, werden völlig zu Unrecht belächelt. Diesen Eindruck erweckt zumindest Andreas Bernard, der sich in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung mit dem Phänomen SMS auseinandersetzt. Demnach sorgen die simsenden Kids nicht nur für gigantische Umsätze der Mobilfunkanbieter, sondern vor allem für expressionistisch anmutende Literatur. Der Düsseldorfer Uzzi Verlag hatte im Januar einen SMS-Literaturwettbewerb gestartet, zu dem bis Ende März 8.215 Beiträge eingereicht wurden. Am 1. Juni gibt der Verlag die Preisträger bekannt.

Die Beschränkung auf 160 Zeichen reize die Dichter, schreibt SZ-Autor Bernard, getreu Friedrich Nietzsches Erkenntnis, dass "unser Schreibzeug (...) mit an unserem Gedanken" arbeite. Man könne durchaus von einer "allgemeinen Wiederbelebung des lyrischen Genres durch den Short Message Service" sprechen. Die notwendige Verdichtung der Sprache, ihr "Lakonismus" erinnern den Autor an den Telegrammstil am Ende des 19. Jahrhunderts, den im- und expressionistische Lyriker ebenso wie Nietzsche genutzt hätten. Der SMS-Stil zeige die "untrennbare Verknüpfung von Medientechnologie und Literatur".

Das Limit der 160 Zeichen soll darüber hinaus "ein bis dahin ungekanntes Bewusstsein für die Bedeutung des einzelnen Zeichens" erzeugen, glaubt Bernard. Sonderzeichen tauchen im SMS-Texten kaum auf. Kein Wunder, denn für einen Gedankenstrich muss man viele Tasten drücken. Gleiches gilt für einige Buchstaben. Ein J ist mit einem einzigen Tastendruck zu erreichen; ein E mit zwei, ein S erst mit vier. Was liegt da näher, als sich beim Gedichteschreiben auf günstig gelegene Buchstaben zu beschränken. Eine genaue Analyse der SMS-Gedichte wird zeigen, ob dem so ist. Die jeweils 100-seitigen Anthologien "160 Zeichen Liebe", "160 Zeichen Literatur" und "160 Zeichen Spaß" gibt's ab Juni im Buchhandel. (hod)