Frankensteins Zoo

Ferngesteuerte Tiere mit Cyborg-Sinnesorganen bevölkern die Labore. Sie sollen zu lebendigen Robotern werden und Arbeiten erledigen, für die heutige Maschinen zu dumm sind.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christian Honey

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 20.3.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Solch eine Ratte existierte nicht – bis Miguel Nicolelis sie konstruierte. 2015 gaben er und sein Team von der Duke University in North Carolina dem Tier die

Fähigkeit, Infrarotlicht wahrzunehmen: Die Forscher hatten dem Nager drei Stimulationselektroden in den somatosensorischen Kortex implantiert, jenen Teil der Hirnrinde, der Berührungen verarbeitet. Jede Elektrode war an einen Infrarotsensor auf dem Kopf der Ratte gekoppelt. Gemeinsam deckten die drei Sensoren alle Richtungen ab. Wie von einem dritten Auge, das Infrarotlicht einfängt, erhielt das Gehirn der Ratte völlig neue Sinnesdaten. Würde sie die Inputs nutzen können?

Im „Journal of Neuroscience“ berichteten die Wissenschaftler, dass die Cyborg-Ratte nach nur vier Tagen Training tatsächlich begann, Infrarotlampen in ihrem Käfig zu erkennen. Mit deren Hilfe entdeckte sie versteckte Leckerlis. Ihr Gehirn hatte offensichtlich gelernt, die neuen Sinnesdaten zu interpretieren. Dass diese Fähigkeit des Rattenhirns nicht auf den Berührungskortex beschränkt ist, bewies eine zweite Ratte. Ihr hatte Nicolelis᾽ Team die Elektroden in den Sehkortex eingepflanzt. Auch sie lernte Infrarot-Inputs zu nutzen – sogar innerhalb eines Tages und scheinbar ohne Einschränkung ihrer Sehfähigkeit.

Für die Wissenschaft wirft diese Forschung ein neues Licht auf die Arbeitsweise des Nervensystems. Aber dahinter steckt weit mehr: Heutige Roboter sind trotz aller Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz nach wie vor schwerfällig und unflexibel. Ließe sich jedoch ein Zwitter aus Roboter und Tier erschaffen, könnte das Wesen erledigen, was heute weder Roboter noch Tier allein gelingt. Die Biobots könnten radioaktiv verseuchte Gebäude erkunden, von Erdbeben verschüttete Menschen suchen oder in Anti-Terror-Einsätzen die Wohnungen mutmaßlicher Täter ausspionieren.

Für Menschen existieren bereits Hirn-Computer-Schnittstellen, die erstaunlich gut funktionieren. Vorigen Februar etwa gelang es Ärzten der Johns Hopkins University im amerikanischen Baltimore, über ein Implantat mit 128 Elektroden Signale aus dem motorischen Kortex eines Patienten so genau auszulesen, dass er damit die Finger eines Roboterarms einzeln steuern konnte. Der Schritt, mit solchen Technologien Biobots zu konstruieren, scheint nicht allzu groß. Die neuen Wesen wären die Quintessenz des Nutztiers – samt aller ethischen Bedenken, die damit einhergehen.

Wie die Forschung von Nicolelis zeigt, kann man ein Gehirn mit neuartigen Sinnesdaten gleichsam upgraden. Aber kann man Lebewesen über eine Hirn-Computer-Schnittstelle auch gezielt steuern? Das erste ferngesteuerte Insekt – eine Küchenschabe – lief vor 20 Jahren über den Labortisch von Isao Shimoyama an der Universität Tokio. Er hatte je eine Elektrode an die Nervenbahnen der rechten und linken Antenne der Schabe angeschlossen. Wenn er eine der Elektroden stimulierte, war das für seine Schaben das Signal, gegen ein Hindernis gestoßen zu sein. Entsprechend wechselten sie die Richtung.

Seitdem haben Forscher Motten, Käfer, Mäuse, Ratten und sogar Dornhaie mit einer Fernsteuerung ausgestattet. Weltweit Furore machten im Jahr 2002 etwa die „ferngesteuerten“ Ratten eines Teams um John Chapin von der State University of New York. Wie im Journal „Nature“ berichtet, waren mehrere Elektroden in den Teil des Rattenkortex eingepflanzt, der Inputs von den Barthaaren der Tiere verarbeitet. Die Ratten nutzen sie ähnlich wie Schaben ihre Antennen. Die Forscher konnten nun gleichsam die Barthaare der Ratte stimulieren, nur eben direkt im Gehirn. Zusätzlich hatten Chapins Mitarbeiter der Ratte noch eine dritte Elektrode implantiert – ins Belohnungszentrum. So konnten sie den Nager für eine gewünschte Richtungsänderung belohnen. Nach nur zehn Trainingssessions konnten sie das Tier mit Elektrodensteuerung durch einen Hindernisparcours mit Leitern, Röhren und kleinen Toren lenken.

(inwu)