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Vampir-Synthesizer macht Musik aus menschlichem Blut

Der russische Künstler Dmitry Morozov füllte 55 Batteriezellen mit 4,5 Liter eigenem Blut, um einen kleinen ARM-basierten Synthesizer anzutreiben. Die daraus entstandene Musik lässt nicht nur Horror-Fans Schauer über den Rücken fahren.

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Vampir-Synthesizer macht Musik aus menschlichem Blut

(Bild: Dmitry Morozov)

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Das Internet ist voll von heißen IT-News und abgestandenem Pr0n. Dazwischen finden sich auch immer wieder Perlen, die zu schade sind für /dev/null.

Am 25. November 2016 führte der russische Künstler Dmitry Morozov im polnischen Gdansk unter dem Namen "Until I Die" eine unheimliche Installation auf: Im dortigen Laznia-Zentrum für zeitgenössische Kunst ließ er sich 200 Milliliter Blut abzapfen. Es war die letzte Infusion für seine insgesamt 55 Batteriezellen. Mit diesen speiste er einen kleinen Hardware-Synthesizer und ließ acht Stunden lang von einem Algorithmus erzeugte Musik laufen.

Der Aufbau ist eines Dr. Frankenstein würdig: Für die Installation wurden fünf Karussels mit jeweils elf Gläsern mit Blut befüllt, die als Stromzellen fungierten. Die dazu nötigen 4,5 Liter Blut wurden dem Künstler über einen Zeitraum von 18 Monaten abgezapft. Um die Sterilität, Homogenität und chemische Zusammensetzung zu erhalten, wurden die Konserven anschließend einer speziellen Behandlung unterzogen: So wurde das Blut mit destilliertem Wasser auf eine Menge von 7 Litern verdünnt und mit Antibiotika, Fungiziden, Glucose, Glycerol und Natriumcitrat versetzt.

Until I Die (8 Bilder)

Während seiner Performance saß der Künstler Dmitry Morozov in einem Liegestuhl und ließ sich Blut abnehmen. Die Musik spielte automatisch.
(Bild: Dmitry Morozov)

Da das Blut verschiedene Ionen enthält (Na+, K+, Mg2+, Ca2+, HCO3-, CI-, PO43-, SO42-), dient es als Elektrolyt. In jedes Glas wurden schließlich eine Kupfer-Anode und Aluminium-Kathode getaucht.

Jedes Karussell liefert mit seinen elf Zellen 0,6 Volt Gleichspannung. Das gesamte System kommt somit auf 3 Volt bei einer Kapazität von 1000 mAh. Für den Betrieb des Sound-Moduls, einem kleinen Axoliti-Synthesizer mit Lautsprecher, wurde die Spannung auf 6,5 bis 7 Volt transformiert.

Genug Strom, um einen kleinen Axoloti-Hardware-Synth anzutreiben. Der Axoloti-Synth beherbergt auf seiner Platine einen 180 MHz ARM Cortex M4 mit 256 kByte SRAM und 1 MByte Flash-Speicher. Er kann per MIDI und USB angesprochen werden. Da die elektrischen Anschlüsse alle offenliegen, lassen sich weitere Fader, Potentiometer oder auch LEDs recht einfach anschließen. Gesteuert wird Axoloti von einer Open-Source-Software, die unter Windows, macOS oder Linux läuft.

Morozov möchte mit seinem Experiment zeigen, in welch absurde Abgründe sich die Suche nach neuen Energiequellen treiben lässt. Es sei ein ironischer Seitenhieb, der eine ethische Diskussion anstoßen soll. Schade ist, dass er mit seinem Blut allein den elektrischen Betrieb sicherstellt, aber weder die Tonerzeugung noch die Komposition von seiner biologischen Komponente abhängig macht und die Musik dadurch in den Hintergrund rückt. Dadurch verpufft ein Teil seiner Performance.

Bemerkenswert ist jedoch die Radikalität, mit der Morozov sein Experiment zur Verschmelzung von Mensch und Maschine durchführt. In seiner schockierenden Wirkung steigern ließe sich dies wohl nur, wenn jemand sein Blut nicht über anderthalb Jahre verteilt, sondern in einer tödlichen Live-Performance transferiert, wie es Morozov mit dem Titel "Until I Die" suggeriert. Ewiges Leben bliebe dem Probanden dadurch jedoch verwehrt: Morozovs Experiment lief nur acht Stunden lang – danach waren die Batterien offenbar leer.

Künstlerisch regt Morozovs Experiment zur Diskussion an. Seine körperliche Aufopferung, die zum Betrieb der Maschine nötig ist, lässt sich durchaus auch als Kritik an der aktuellen Abhängigkeit der Menschen von Maschinen verstehen, die zu deren Betrieb vielleicht nicht so viel von ihrem Lebenssaft, aber durchaus von ihrer Lebenszeit investieren.

Der Künstler selbst sieht sich in der Tradition russischer Kosmisten, die auf der Suche nach Maschinen waren, die das Leben verlängern. So habe Alexander Bogdanov, Gründungsmitlied der sozialdemokratischen Partei Russlands, in den 20er Jahren die Transfusion von Blut propagiert, mit der ältere Menschen ihre Weisheit auf jüngere übertragen und junge mit ihrem Blut den älteren neue Lebensenergie spenden sollten. In seinem Science-Fiction-Roman "Roter Stern" von 1908 soll Bogdanov erstmals das Konzept der Bluttransfusion zur Erlangung ewiger Jugend formuliert haben.

Morozov übertrug das Konzept auf eine Transfusion zwischen Mensch und Maschine. Parallelen findet man in Science-Fiction-Filmen wie "Die Matrix", in der Menschen in riesigen Farmen als Energiezellen für Computer und Roboter gehalten werden. Nach Morozovs Experiment wäre ein Mensch allerdings keine besonders effiziente Energiequelle für Computer. Da darf man nur hoffen, dass die Maschinen uns nicht an die Nadel hängen, wenn sie eines Tages die Weltherrschaft übernehmen. (hag)