Ausrottung per Gentherapie

Neuseeland will sich bis 2050 von den eingewanderten Feinden seiner einheimischen Tierwelt befreien.

vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Antonio Regalado

Hunderte Millionen Ratten, Possums und Wiesel stehen auf der Abschussliste der grünen Insel. Denn sie sind dem neuseeländischen Department of Conservation zufolge jährlich für den Tod von Millionen Vögeln verantwortlich. Vom Aussterben bedroht sind auf dem Staatsgebiet etwa der Kakapo, ein flugunfähiger Papagei, die Takahe, die zu den Purpurhühnern zählt, und der Kiwi, ein Laufvogel und zugleich das neuseeländische Nationalsymbol.

Die Methode dazu ist so radikal, dass sie bisher kein Land ausprobiert hat: ein neu entwickeltes gentechnisches Verfahren namens "Gene Drive". Dabei wird eine Genveränderung dank eines besonderen Kniffs bei der Vererbung im Idealfall zu hundert Prozent an die Nachkommen weitergegeben.

Das Ziel sind Erbgutveränderungen, die es den eingewanderten Tieren unmöglich machen, sich zu vermehren. "Wir suchen nach etwas wirklich Unorthodoxem", sagt Karl Campbell, einer der Projektleiter bei Island Conservation. Die gemeinnützige US-Organisation mit Sitz im kalifornischen Santa Cruz hat sich schon vor Längerem der Rettung vom Aussterben bedrohter Seevögel verschrieben.

Im Falle kleiner Inseln setzen die Naturschützer bisher meist Rattengift gegen unerwünschte Nager ein. Aber bei größeren Territorien wie Neuseeland oder einer umfangreicheren Population stößt diese Methode an ihre Grenzen. Nun will die Organisation rund sieben Millionen US-Dollar im Jahr ausgeben, um die Gene-Drive-Technik voranzubringen. Geplant ist zunächst ein erster Test auf einer entlegenen Insel – falls die Behörden zustimmen.

Island Conservation kann dabei auf Arbeiten von zwei Wissenschaftlerteams zurückgreifen. Die Mäusegenetiker entwickeln derzeit den ersten Gene Drive in Säugetieren – und zwar bei der Hausmaus (Mus musculus).

Ihr Ziel sind Mäuse, die ausschließlich männliche Nachkommen haben. Die erste Gruppe um Paul Thomas von der University of Adelaide in Australien hat dafür die neue Genschere CRISPR genutzt. Noch stehen die Versuche jedoch ganz am Anfang. Das Team hat gerade erst begonnen, die genveränderten Mäuse zu züchten "Wir müssen sehen, ob es überhaupt klappt und ob der Gene Drive stabil ist", sagt Thomas.

Das zweite Team ist an der Texas A&M University beheimatet und erzeugte unter der Leitung von David Threadgill bereits ebenfalls die erste Generation töchterloser Mäuse. Jetzt prüfen die Wissenschaftler aus der US-Stadt College Station, ob das Merkmal auch an die folgenden Generationen weitergegeben wird. Die texanische Gruppe nutzt dazu den natürlich bei einigen Mäusepopulationen vorkommenden t-Komplex. Dessen Gene sorgen dafür, dass sich bei den Mäusespermien eine Gruppe schneller bewegen kann als die andere.

Diesen Spermien gelingt daher sehr viel häufiger die Verschmelzung mit der Eizelle. Zusätzlich haben die Forscher an diesen Genkomplex ein weiteres Gen namens SRY gekoppelt, das für die Ausbildung männlicher Geschlechtsorgane bei seinem Träger sorgt. Das Ergebnis ist das gleiche wie bei den Australiern: vorwiegend männliche Nachkommen. Wie erfolgreich das Verfahren ist, wird sich demnächst herausstellen. In die Umwelt entlassen, könnten die genveränderten Mäuse eine Wildpopulation dezimieren oder sogar ausrotten.

Das neuseeländische Parlament kann sich vorstellen, den Gene Drive zu nutzen. Aber es gibt auch Vorbehalte im Inselstaat. Fraglich sei zum Beispiel, ob die unerfahrenen Labormäuse nicht gleich die Beute eines Raubvogels würden. Oder ob die weiblichen Mäuse den Gene Drive riechen und daher andere Männchen bevorzugen würden. Die Weibchen könnten sogar resistent gegen die Genveränderung werden, befürchten Kritiker. Neil Gemmell, Forscher an der University of Otago, jedenfalls wendet ein: "Wenn man glaubt, man entlässt diese Mäuse einfach in die Natur und sie werden die Population ausrotten, dann ist das ein großer Irrtum." (bsc)