Ex-Verfassungsrichter: Staaten brauchen "Erziehungsberechtigten" bei der Internetregulierung

Der Staatsrechtler Udo Di Fabio hat den Vorschlag von Microsoft-Präsident Brad Smith als "reizvoll" bezeichnet, eine "neutrale Weltbehörde" gegen staatliche Cyberangriffe durch "Desperados" ins Rennen zu schicken.

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Netzwerk, Globus, Vernetzung
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Brad Smith, Chefjustiziar von Microsoft, hat in Udo Di Fabio einen Fürsprecher für seinen Ruf nach einer digitalen Genfer Konvention und einer unabhängigen internationalen Agentur gegen staatliche Hacker gefunden. "Die Vorstellung einer neutralen Weltbehörde ist eine reizvolle", befand der einstige Richter am Bundesverfassungsgericht am Montag bei einer Diskussion zur Rechtsstaatlichkeit im digitalen Wandel bei Microsoft in Berlin. Eine solche Institution sei dringlich, da "Staaten solche Erziehungsberechtigten benötigen". Derzeit benähmen sich viele Nationen in völkerrechtlicher Hinsicht "wie Desperados".

In der Skizze Smiths soll die Digitalagentur ähnlich wie die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) Inspektionen durchführen und dadurch Informationen zu der schwierigen Frage sammeln, wer hinter einem Cyberangriff steckt. Diese sogenannte Attribution sei vergleichsweise einfach machbar, meinte der Microsoft-Präsident. Die Redmonder selbst wüssten oft, wer hinter einer staatlichen Hackerattacke stecke. Sie könnten es aber nicht öffentlich kundtun, "weil wir Kunden und Angestellte dort haben". Eine unabhängige Institution könne die Schuldigen aber beim Namen nennen und so eine abschreckende Wirkung auslösen.

Di Fabio spann die Idee weiter und übertrug sie auf die Internetregulierung allgemein. Nötig sei ein internationalem Rahmen, "der schützt vor intransparenten Modellen und Staaten, die behaupten, dass sie die souveräne Herrschaft übers Internet durchsetzen, aber in Wirklichkeit Räume verriegeln". Der Bonner Staatsrechtler rechnet mit zunehmenden Versuchen, "digitale Grenzzäune zu errichten", obwohl das Netz eigentlich als grenzenloses Medium gestartet sei.

"Wir stehen vor einer Regulierungswelle der digitalen Welt", prognostizierte Di Fabio. Eine solche sei ein Stück weit auch unvermeidlich, da es in Bereichen wie der Wettbewerbssicherung oder der Datensicherheit ein Defizit im Internet gebe. "Wir reden aber auch über Bedingungen der öffentlichen Meinungsbildung", gab der Jurist zu bedenken. Diese werde im Internet unter anderem durch "Fake News" gefährdet sowie durch einen "Verlust an journalistischer Gewissheit". Entscheidend sei so eine "intelligente Regulierung" und eine ebensolche Kooperation zwischen Unternehmen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen, "die Know-how haben" und Regierungen mit der klassischen Durchsetzungsmacht.

Derzeit gebe es eine "Revolte gegen ein immer dichteres internationales Recht", dämpfte Di Fabio Hoffnungen auf einen raschen zwischenstaatlichen Vertrag gegen staatliche Cyberangriffe. Die von Smith umrissene Kontrollinstanz könne sich aber auch rasch als unumgänglich herausstellen, sodass es gut sei, wenn Lösungsvorschläge dann schon auf dem Tisch lägen.

Aktuell beobachtet der frühere Verfassungshüter eine "gewisse Erosion unserer demokratischen Kerngesellschaften". Die "langweilige Realgesellschaft" komme zurück und wähle sich in den USA einen "schlecht erzogenen" und "infantil" wirkenden Präsidenten Donald Trump. Aber auch Europa sei vor dem Bazillus Populismus nicht gefeit. Dies führe zu der zuvor kaum denkbaren Konstellation, dass Deutschland, Japan und China in der "multipolar werdenden Welt" für den Freihandel würben, während die Atlantikmächte, die dieses Konzept mit groß gemacht hätten, sich davon verabschiedeten.

In der neuen analog-digitalen Unübersichtlichkeit lobte Di Fabio das vergleichsweise traditionelle Geschäftsmodell der Redmonder: "Microsoft möchte klar Bezahlung für Leistungen haben, das flößt mir Vertrauen ein." Mit der Software stehe der Konzern "mit beiden Beinen in der realen Welt", strecke sich nun aber auch zum Himmel mit der Cloud und verspreche auch dort eine hohe "Erwartungssicherheit". Im Netzzeitalter groß gewordene Firmen setzen laut dem Konservativen dagegen oft auf ein neues, datengetriebenes Wertschöpfungsmodell und bleiben damit teils "komplett intransparent für den Nutzer". Die genauen Geschäftsbedingungen seien dabei unter der bunten Benutzeroberfläche nicht mehr zu erkennen. (kbe)