Die Geier kreisen über gescheiterten Dot.Coms

Ein Scherz aus einem Comic-Strip wurde Wirklichkeit, und die Betroffenen können gar nicht darüber lachen: myVulture.com ist mehr oder weniger Realität.

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Von
  • Tilman Streif
  • dpa

Ein Scherz wurde Wirklichkeit, und die Betroffenen können gar nicht darüber lachen. Im populären amerikanischen Zeitungs-Comic-Strip Doonesbury entsteht ein Unternehmen, das unter dem Namen myVulture.com wie ein Geier über dem Besitz gescheiterter Dot.Com-Firmen kreist. Die Überreste der Geschäftsleichen werden billig eingekauft und dann Gewinn bringend abgestoßen. Was Millionen amerikanischer Zeitungsleser amüsiert, ist jetzt Realität: Der Geschäftszweck der echten Firma Overstock.com in Salt Lake City (Utah) ist der gleiche wie der des fiktiven Vorbilds.

"Wir erwarten in den nächsten sechs Monaten noch mehr Firmendebakel", sagt Patrick Byrne. Der Chef von Overstock.com reibt sich schon die Hände. Er kann es kaum erwarten, sein eigenes Lager mit den Waren weiterer Pleiteunternehmen zu füllen. Byrne übernahm bereits die Sortimente des Juweliers Miadora.com, des virtuellen Hutgeschäfts eHats.com und des Babyartikel-Fachhändlers Babystripes.com. Dort freuten sich die Konkursverwalter über die Geldspritze Byrnes, mit der wenigstens einige der Schulden abbezahlt werden konnten.

Bei Overstock.com gibt es auch die Waren des gescheiterten Spielzeughändlers ToyTime.com. Kuschelbären, Plastikautos und Tretroller im Wert von 12 Millionen US-Dollar übernahm der neue Besitzer zum Preis von 3,7 Millionen US-Dollar. Das Spielzeug kann deshalb den Einzelkunden zu Schleuderpreisen angeboten werden, die oft über 50 Prozent unter den normalen Ladenbeträgen liegen. "Man labt sich am Dot.Com-Aas" – mit solch drastischen Worten beschrieb die Tageszeitung USA Today unlängst den schwunghaften Handel mit den Hinterlassenschaften der Gescheiterten.

Davon profitiert auch die Firma Bid4assets.com, deren Internet-Name wörtlich das Geschäft beschreibt: Die Kunden sollen Gebote einreichen. Dann können sie Teile aus der Konkursmasse von gescheiterten Unternehmen ersteigern, ganz gleich ob es sich um deren Warenlager oder Büroeinrichtungen handelt, von gebrauchten Computern über Möbel bis zu Kopierern. Nutznießer der Pleiten sind auch Immobilienmakler, die leer stehende Büroräume der Pleitefirmen gegen hohe Provisionen weitervermitteln, und Anwälte, die den Konkurs abwickeln. "Wir sind sehr, sehr, sehr beschäftigt", sagt Steve O'Neill von der Kanzlei Murray & Murray in Kaliforniens Silicon Valley.

Auch professionelle Arbeitsvermittler freuen sich über die Vielzahl der Pleiten. Sie können sich aus der großen Masse von neuerdings arbeitslosen Technologie-Experten die Topkandidaten herauspicken, berichtet Jim Audel von der Vermittlungsfirma Russell Reynolds in San Francisco. "Wir sehen immer mehr traditionelle Firmen, die im Internet-Handel mitmischen wollen und nun sachkundige Manager suchen, die sich in der E-Welt auskennen", freut sich Audel. Und übrigens: Auch myVulture.com gibt es inzwischen zumindest in der virtuellen Welt des Internet: Die Adresse leitet auf die Webseite des Pleite gegangenen und dann neu lancierten Internet-Modehändlers boo.com um. (Tilman Streif, dpa) / (jk)