"Grundeinkommen ist eine große Steuerreform"

Eigentlich haben wir gar keine andere Wahl, schreibt der Ökonom Thomas Straubhaar in einem neuen Buch: Demografischer Wandel und Digitalisierung würden die Einführung eines Grundeinkommens für alle zwingend erforderlich machen.

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Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

In Kenia bekommen ausgewählte Einwohner seit einiger Zeit 0,75 Dollar pro Monat, in Finnland 560 Euro, und auch in anderen Ländern wird darüber nachgedacht: Das Interesse an so genannten bedingungslosen Grundeinkommen, bei denen Bürger unabhängig von Bedürftigkeit und ohne Gegenleistung Geld vom Staat erhalten, scheint derzeit deutlich zuzunehmen. Der Hamburger Wirtschaftsprofessor Thomas Straubhaar, der sich schon länger für diese Idee einsetzt, hat seine Argumente dafür jetzt in einem Buch zusammengefasst.

In "Radikal gerecht" liefert Straubhaar auch gleich die Erklärung dafür, dass die im Grundsatz schon mehrere Jahrzehnte alte Idee vom Grundeinkommen neuerdings wieder Konjunktur hat. Als einen von zwei Haupttreibern für das steigende Interesse an dem Konzept hat er die Digitalisierung ausgemacht: "Die Digitalisierung wird mehr Arbeitsplätze vernichten (...), als die Kritiker des Grundeinkommens vermuten", schreibt Straubhaar.

Für den Professor ist der Fall deshalb klar: Demografischer Wandel, Digitalisierung und die damit einhergehenden gesellschaftlichen und ökonomischen Verhaltensänderungen würden "alles Bisherige infrage stellen", so dass es neuer, zeitgemäßer Antworten bedürfe. Nicht die Einführung eines Grundeinkommens sei eine riskante Politik, sondern der Verzicht darauf.

Bei der Demografie besteht das Problem laut Straubhaar darin, dass der „Eckrentner“ ausstirbt – also die Verkörperung des theoretischen Standardfalls einer Person, die eine Ausbildung macht, mehrere Jahrzehnte im selben Beruf arbeitet und dann in die Altersrente geht. Denn zum einen ist die Lebenserwartung deutlich gestiegen, so dass ein Rentenbeginn mit Mitte 60 auf Dauer kaum noch zu finanzieren ist. Zur Erinnerung: Bei der Einführung der Bismarck'schen Rentenversicherung im Jahr 1889 lag die Lebenserwartung für Männer bei 35,6 Jahren und für Frauen bei 38,5 Jahren, heute sind es 78 Jahre bei Männern und gut 83 Jahre bei Frauen.

Hinzu kommt der zweite wichtige Punkt, nämlich die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Laut Straubhaar wird dadurch die Arbeit "dem Menschen zwar nicht ausgehen. Aber die Arbeitszeit wird weiter schrumpfen." Er zitiert Prognosen, laut denen durch Digitalisierung langfristig fast 50 Prozent aller Arbeitsplätze wegfallen könnten. Deshalb: „Ein Sozialstaat des 21. Jahrhunderts muss von gebrochenen, nicht linearen Lebensverläufen als neuem Normalfall ausgehen.“

Und dieser moderne Sozialstaat sollte seine Leistungen bündeln. Würde der gesamte heutige Sozialstaat durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt, schreibt Straubhaar, würde das schon ausreichen, um ein monatliches Grundeinkommen von 925 Euro auszuzahlen. Darüber hinaus spricht er sich dafür aus, zur Finanzierung nicht nur wie heute hauptsächlich abhängig Beschäftigte heranzuziehen, sondern jeden, der Geld verdient, also auch "Selbstständige, Freiberufler, Beamte und Abgeordnete"; außerdem sollen sämtliche Einkunftsarten erfasst und mit demselben Steuersatz belastet werden.

Im Ergebnis würde das laut Straubhaar auf eine "fundamentale Steuerreform" hinauslaufen, die für die Gesellschaft mehr Gerechtigkeit und Effizienz bringt und für den Einzelnen Halt, Sicherheit und Freiräume schafft. Die Bevölkerung werde "von der Sorge des wirtschaftlichen Überlebens entlastet". Mit einem garantierten Grundeinkommen werde es künftig "weder volks- noch betriebswirtschaftlich erforderlich sein, alle Menschen in ein immer länger werdendes Leben lang zur Arbeit zu zwingen".

Stattdessen solle für Geld arbeiten, wer das noch will und kann – eine kleinere Zahl von Arbeitnehmern werde wegen der durch intelligente Maschinen erreichten Produktivitätssteigerungen die Chance haben, mehr zu verdienen als bisher. Andere könnten sich schlecht oder gar nicht bezahlten Tätigkeiten zuwenden, die aber mehr gesellschaftliches Ansehen gewinnen würden, wenn lebenslange Erwerbstätigkeit im klassischen Sinn nicht mehr als der Normalfall angesehen wird.

Natürlich müsste auch in einem Staat mit Grundeinkommen irgendwie noch genügend Geld verdient werden, um die zur Finanzierung nötigen Steuern einnehmen zu können. Straubhaar stellt es jedoch als unwahrscheinlich dar, dass garantierte Zahlungen zu sehr auf die Motivation zur Erwerbstätigkeit drücken würden. Denn zum einen geben die meisten Menschen in Umfragen an, keineswegs nur noch faulenzen zu wollen, wenn die eigene Existenz gesichert ist. Und zum anderen bleibe ja als Anreiz die Möglichkeit, mit eigener Anstrengung deutlich mehr als nur das Grundeinkommen zu verdienen.

Letztlich weiß trotz aller Umfragen und Vermutungen natürlich niemand, wie die Bevölkerung auf eine derart grundlegende Veränderung reagieren würde. Das räumt auch Straubhaar ein: "Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein derartiger Systemwechsel, dass alle relevanten Verhaltensfaktoren ihre Strukturkonsistenz verlieren." Insofern wäre ein Umstieg darauf also durchaus ein riesiges Experiment mit ungewissem Ausgang – und auch begrenzte Tests wie in Finnland oder Kenia dürften nicht wirklich Sicherheit schaffen.

Die größte Schwäche von Straubhaars Buch ist, dass er die Folgen der Digitalisierung als sicher genug vorhersehbar darstellt: Berufe verschwinden, menschliche Arbeit wird immer weniger gebraucht, ohne Gegenmaßnahmen landet der gesamte neue Wohlstand bei den Besitzern von Robotern. Zwar ist dergleichen zurzeit häufig zu lesen und zu hören, doch es gibt auch andere Stimmen. Eine nähere Beschäftigung mit diesem für die Argumentation zentralen Punkt hätte Straubhaars Plädoyer für ein Grundeinkommen überzeugender machen können.

(sma)