Zahlen, bitte! 365 Geruchsrezeptoren ersetzen die menschliche Nase

Ein US-Start-up will mithilfe eines Biochips den chemischen "Fingerabdruck" von Gerüchen ermitteln. Dazu hat die Firma 365 Geruchsrezeptoren auf einem Biochip aufgebracht. Ob das dufte ist?

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Zahlen, bitte! 365 Geruchsrezeptoren auf einem Biochip
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Simone Hörrlein
Inhaltsverzeichnis
Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Immer noch müssen Unternehmen zur Entwicklung eines Aromas, beispielsweise dem von frisch gebackenem Brot, viele tausend Stunden und riesige Summen an Geld investieren. Zwar lässt sich durch spezielle Analyseverfahren im Zusammenspiel mit sensorischen Informationen der menschlichen Nase herausfinden, welche Verbindungen in einer Mischung für einen bestimmten Geruch verantwortlich sind. Doch dieser Prozess ist nicht nur aufwendig, sondern auch extrem teuer. Ein Biochip mit fünf Geschmacks- und 365 Geruchsrezeptoren könnte eine neue Möglichkeit eröffnen – und schon bald die Funktion der menschlichen Nase in der Aroma- und Duftstofforschung übernehmen.

Die Entwicklung stammt von Chris Hanson und seiner Firma Aromyx. Der EssenceChip genannte Chip basiert auf den Erkenntnissen der Nobelpreisträger Richard Axel und Linda Buck, dass Rezeptoren im menschlichen Riechorgan für das Erkennen von Geruchsmolekülen verantwortlich sind. Wie kleine Antennen ragen sie aus der Zellmembran der Geruchszellen heraus. Riechen wir an frischen Erdbeeren, so binden deren Geruchsmoleküle an die passenden Rezeptoren und führen zu einer Strukturänderung. Diese stößt im Inneren der Zelle eine Reaktionskette an, an deren Ende ein Botenstoff mit dem sperrigen Namen Adenosinmonophosphat, kurz cAMP, steht. Sammelt sich genug Botenstoff in der Zelle an, kommt es zur Weiterleitung der Geruchssignale ins Gehirn. Erst dort wird der Geruch frischer Erdbeeren wahrgenommen.

Hanson hat diese Abläufe des menschlichen Riechvorgangs in seinen Chip gepackt. Auf den ersten Blick sieht er aus wie eine normale Mikrotiterplatte aus einem Diagnostiklabor mit 384 Vertiefungen für chemische Reaktionen. Doch das Innenleben macht den Unterschied. Fünf Geschmacks- und 365 Geruchsrezeptoren hat das Aromyx-Team in je eine der Vertiefungen des Biochips gepackt. Ebenfalls auf die Platte gebannt ist das gesamte an der Geruchserkennung in der Nase beteiligte biochemische Arsenal sowie ein kompliziertes Messverfahren. Wie dieser Kunstgriff genau gelungen ist, sei allerdings ein Firmengeheimnis, sagt der bei Aromyx für Verkauf und Marketing zuständige Todd Cushman.

Künstliche Nase auf einem Biochip: Chris Hanson (hinten) und Bill Harries von Aromyx.

(Bild: Aromyx)

Wird der EssenceChip einem Geruch ausgesetzt, soll exakt das Gleiche ablaufen wie in der menschlichen Nase. "Die für den Geruch verantwortlichen Moleküle docken an passende Geruchsrezeptoren in den Vertiefungen des Chips an, und am Ende entsteht der Botenstoff cAMP", sagt Bill Harries, Zellbiologe und wissenschaftlicher Leiter des Start-ups. Seine Konzentration lässt sich zum Nachweis nutzen. Fluoreszierende Farbstoffmoleküle interagieren dafür mit den Botenstoffmolekülen, und die Farbstoffkonzentration erlaubt somit Rückschlüsse auf die Menge der Duftstoffmoleküle.

Um die Messsignale sichtbar zu machen, nutzen Hanson und sein Team einen Algorithmus, der die Ergebnisse des Biochips in ein dreidimensionales Bild, ein sogenanntes Aromagramm, umwandelt. Das Aromagramm stellt alle im Chip gebundenen Geruchs- oder Geschmacksstoffe als unterschiedlich farbige Balken dar, wobei die Höhe der Balken die Konzentration der jeweiligen Moleküle repräsentiert.

Hanson zufolge entsprechen die Balken exakt dem quantitativen Signal, das Zunge und Nase auch ans Gehirn senden. Selbst wenn der Chip nicht im wörtlichen Sinne "riechen" kann: Das Aromaprofil komplexer Gerüche kann er ziemlich gut nachstellen. Und da hinter den Aromaprofilen bestimmte Konzentrationen unterschiedlicher Moleküle stehen, ließe sich damit ein Duft tatsächlich ziemlich einfach rekonstruieren oder gezielt verändern.

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Hansons Ziel jedoch ist ein anderes: Ihm schwebt ein multidimensionaler Aromaraum analog zum Farbsystem RGB vor. Mit ihm lassen sich durch Kombination der Grundfarben alle erdenklichen Farben konstruieren. Geruchsnoten würden dann über eine bestimmte Menge von Geruchsmolekülen definiert. Jeder Duft ließe sich eindeutig identifizieren, digitalisieren, speichern und bei Bedarf wieder abrufen.

Doch so trivial, wie es klingt, ist Hansons Anliegen nicht: Zum einen hat die RGB-Analogie Grenzen. Denn während hierfür nur die drei Farbkanäle Rot, Blau und Grün benötigt werden, müssten bei Gerüchen alle relevanten Geruchsrezeptoren abgebildet werden. Dabei ist noch nicht geklärt, ob es mehr als die von Hanson genutzten 365 Rezeptoren gibt. Die digitalen Codes wären also deutlich komplexer.

Mehr zu der Rekonstrukion von Düften lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von Technology Review (im Handel und im heise shop erhältlich). (jle)