Göttinger Erklärung: Datenschützer legen sich mit Merkel & Co. an

Die Aufsichtsbehörden von Bund und Ländern haben es als "befremdlich" bezeichnet, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere Kabinettsvertreter nur noch dem Datenreichtum das Wort reden.

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Göttinger Erklärung: Datenschützer legen sich mit Merkel & Co. an
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Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder hat sich schwer besorgt gezeigt, dass "Verantwortliche in Politik und Wirtschaft" immer häufiger das grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung "implizit oder sogar explizit in Frage" stellten. "Es befremdet sehr, wenn Mitglieder der Bundesregierung und andere Stimmen in der Politik in letzter Zeit immer wieder betonen, es dürfe kein Zuviel an Datenschutz geben und das Prinzip der Datensparsamkeit könne nicht die Richtschnur für die Entwicklung neuer Produkte sein", heißt es in der "Göttinger Erklärung" der Datenschutzbeauftragten vom Donnerstag.

Übel stößt den Kontrolleuren ferner auf, dass nach Branchenverbänden wie dem Bitkom auch Regierungsvertreter verstärkt "für eine vermeintliche Datensouveränität" werben. Die Zielrichtung dieses Konzepts bleibe aber unklar. Die Konferenz betont daher, "dass Informationen über Personen keine Ware sind wie jede andere und nicht allein auf ihren wirtschaftlichen Wert reduziert werden dürfen". Die Politik müsse im Blick behalten, dass Datenschutz ein Grundrecht wie die Meinungsfreiheit oder die Eigentumsgarantie sei. Es binde "alle Staatsgewalten unmittelbar".

"Gerade in Zeiten von Big Data, Algorithmen und Profilbildung bieten die digitalen Informationen ein nahezu vollständiges Abbild der Persönlichkeit des Menschen", warnen die Datenschützer. Mehr denn je müsse daher die Menschenwürde auch im digitalen Zeitalter der zentrale Maßstab staatlichen und wirtschaftlichen Handelns sein. Zu einer menschenwürdigen und freien Entfaltung der Persönlichkeit gehört die freie Selbstbestimmung über das eigene Ich. "Datensouveränität" verstanden als "eigentumsähnliche Verwertungshoheit" könne daher nur "zusätzlich zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung greifen, dieses jedoch keinesfalls ersetzen".

Die Konferenz fordert daher "alle Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft auf, den hohen Wert des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für eine freiheitliche Gesellschaft zu achten und sich nachdrücklich vertrauensbildend für die Persönlichkeitsrechte einzusetzen". Datenschutz behindere die Digitalisierung nicht, sondern sei "wesentliche Voraussetzung für deren Gelingen". Die Entwicklung datenschutzkonformer IT-Produkte und -Dienste müsse "nachhaltig gefördert werden, um den Datenschutz zu einem Qualitätsmerkmal der europäischen Digitalwirtschaft zu machen.

Seit dem IT-Gipfel 2015 betonen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) immer wieder, dass der Datenschutz Big Data nicht verhindern dürfe. Prinzipien wie Zweckbindung und Datensparsamkeit passten nicht zum digitalen Zeitalter, meinen die Kabinettsmitglieder. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wandte sich zudem jüngst gegen "einige zweifelhafte Grundannahmen" wie die Losung "Meine Daten gehören mir".

In einer weiteren Entschließung erklären die Aufsichtsbehörden laufende Testprojekte zur Videoüberwachung mit biometrischer Gesichtserkennung für illegal. "Es gibt keine Rechtsgrundlage für die Behörden von Bund und Ländern für den Einsatz dieser Technik zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung", heißt es in der Resolution. Die bestehenden einschlägigen Normen erlaubten es nur, technische Mittel "für reine Bildaufnahmen" zu verwenden, nicht jedoch "für darüber hinausgehende Datenverarbeitungsvorgänge" mit "deutlich intensiverem Grundrechtseingriff". Auch ein Pilotbetrieb dürfe daher nicht erfolgen.

"Der Einsatz von Videokameras mit biometrischer Gesichtserkennung kann die Freiheit, sich in der Öffentlichkeit anonym zu bewegen, gänzlich zerstören", führen die Datenschützer aus. Bewegungsprofile könnten erstellt und mit anderen über die Betroffenen verfügbaren Informationen verknüpft werden. Es sei kaum möglich, sich solcher Überwachung zu entziehen oder diese gar zu kontrollieren.

Zu diesen "massiven gesellschaftspolitischen Problemen" treten laut den Kontrolleuren "erhebliche rechtliche und technische Bedenken", da biometrische Identifizierung mit Wahrscheinlichkeitsaussagen arbeite. Eine "falsche Zuordnung" führe bei Strafverfolgungsbehörden dazu, dass Bürger "unverschuldet zum Gegenstand von Ermittlungen und konkreten polizeilichen Maßnahmen werden". Diese Gefahr bestehe auch, falls sich jemand zufällig in der Nähe von gesuchten Straftätern oder Störern aufhalte. (jo)