Alles, was man tut, ist falsch, fühlt der Mensch des Informationszeitalters

Klartext: Es gibt kein richtiges Leben

Man hat es nicht leicht im Zeitalter stündlich aktualisierter Nachrichten über alles Mögliche, das einen zwar nicht betrifft, aber dennoch aufregt. Alles soll falsch sein, ungesund, schlecht für die Umwelt und den Kreislauf

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(Bild: Clemens Gleich)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Es gibt einfache Antworten auf die Fragen nach einem in jeder Hinsicht richtigen Leben, und wie so viele einfache Antworten sind sie falsch. Am besten sieht man das an jenen Personen, die sich am stärksten wünschen, das Richtige zu tun. Sie pachten ein paar Quadratmeter Erde irgendwo ganz weit draußen. Dort fahren sie am Wochenende hin mit ihrem "Clean-Diesel"-SUV, um die selbstgedüngte Möhre aus dem Dreck zu zupfen. Sie kaufen nur Dinge mit Bio-Aufklebern. Sie geben sich wirklich Mühe. Umso frustrierter sind sie, wenn ihre Mühen sich als irregeleitet herausstellen.

Gar nicht so clean

Der Clean Diesel hat sich je nach konkretem Motor als gar nicht so clean wie behauptet herausgestellt. Dass für drei Möhren und einen winzigen Salat jedes Wochenende Dutzende Kilometer im nicht-so-clean-Diesel fahren keine besonders ressourcenschonende Art der Landwirtschaft sein dürfte, ahnen sie längst selber. Und dann sagt ihnen noch jemand, dass arme Bauern in Südamerika für Bio-Produkte eben einfach mehr Regenwald abholzen, weil sie bei Bio-Anbau mehr Fläche brauchen. Ein sehr destruktives Gefühl stellt sich ein: "Alles ist falsch. Nichts soll man mehr machen."

Man braucht gar keinen Rübenacker oder einen Clean Diesel besitzen, um dieses Gefühl nachzuvollziehen. Jede Woche ist irgendetwas Anderes gesund oder ungesund. Wurst erzeugt Krebs, schrieben ungefähr alle Publikationen, weil ungefähr niemand in der Lage war, statistische Berechnungen anders in Text zu übersetzen als absurd. Fleisch ist gut. Fleisch ist schlecht. Vegetarisch essen ist gut, aber vielleicht nicht so gut oder vielleicht morgen auch nicht mehr. Es ist zum Mäusemelken: Kaum habe ich mich in meinem optimalen Leben eingerichtet, ist es schon nicht mehr optimal.

Information, das Schwert mit zwei Schneiden

Der Grund all dessen liegt nicht darin, dass "DIE" (tm) uns nichts mehr gönnen. Nein, wir erleben hier das Informationszeitalter in Aktion. Jemand findet etwas Statistisches über Wurst heraus. Sofort teilt er es uns allen mit. Dass es die größten Multiplikatoren falsch verstehen, gehört zu unserem Alltag. Selten, aber manchmal verstehen sie ja auch etwas richtig. Sehr häufig ändern sich Dinge einfach. Dass ein Elektroauto über die Lebenszeit mehr Ressourcen verschlingt als ein Benziner, das war durchaus einmal der wahre Stand des Wissens. Seitdem ist jedoch einige Zeit vergangen. Die Technik hat sich entwickelt, es wurden neue Berechnungen angestellt, und so stimmt es heute eben nicht mehr. Um der Frage zuvorzukommen: Ja, es kann durchaus sein, dass wir demnächst feststellen, dass der Benziner über die Langstrecke doch schlauer wäre zu bauen. Das ist nicht besonders wahrscheinlich, aber immerhin möglich.