Post aus Japan: Roboter mit Gänsehautfaktor

Bisher haben wir uns Roboter als gefühlsarme Maschinen vorgestellt. Doch künstliche Haut könnte nicht nur ihnen übermenschliche Wärme- und Tastempfindungen geben, sondern auch Prothesenträgern.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Die Technik für Arm- oder Beinersatz schreitet seit Jahren voran. Vorige Woche schrieb ich darüber, dass Roboterhände inzwischen so sensibel gesteuert werden können, dass sie Kartoffelchips aufheben, ohne sie zu zerbröseln. Eine andere Kopie der Natur verspricht nun, mit künstlicher Haut ein gänzlich neues Reich der Robotersinne zu erschließen. Und auch hier ist ein ostasiatisches Land in der Weltspitze dabei: Südkorea.

Forscher der Soongsil Universität und des Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) haben gerade eine dehnbare, hochsensible Haut vorgestellt, die Druck erspüren kann. Als Inspiration dienten Piezo2-Proteine in Merkel-Zellen, die Säugetieren als Druckrezeptoren dienen. Dabei kann die künstliche Haut sogar weitaus höhere Drücke als der Mensch unterscheiden, behaupten die Forscher.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Als mögliche Einsatzbereiche sehen die Forscher Roboter, die unter Menschen und/oder mit der Umwelt agieren, sowie Prothesentechnik und Krankenpflege. Nicht nur kann die Haut zur Überwachung von Lebensfunktionen wie dem Puls genutzt werden, sondern auch zur Druckmessung und sogar der Stimmerkennung.

Doch die Entwicklung bleibt nicht beim Tastsinn stehen. Ein Team der ETH Zürich und der amerikanischen CalTech hat kürzlich eine Folie präsentiert, die die Temperatur zwischen fünf und 50 Grad Celsius auf 0,01 Grad Celsius genau messen kann (hier das Pdf des wissenschaftlichen Artikels). Damit soll die Folie genauso sensibel auf Wärme reagieren wie die Wärmerezeptoren von Klapperschlangen, die ein Meter entfernte Beute auch nachts anhand der Wärmeabstrahlung orten können.

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Damit ist sie nicht nur deutlich sensibler als bisherige Entwicklungen von künstlicher Haut, die nach Angaben der Forscher nur in einem Bereich von fünf Grad Celsius auf rund ein Zehntel Grad genau messen. Darüber hinaus sei die Haut extrem einfach herzustellen und deutlich robuster als bereits existierende wärmeempfindlichen Modelle künstlicher Haut, so die Wissenschaftler. Denn sie besteht nicht aus Transistoren oder anderen elektronischen Komponenten, sondern aus etwas Kalziumlösung und Pektin, das in der Küche als Geliermasse eingesetzt wird.

Das Geheimnis des großflächigen Sensors ist, dass mit zunehmender Temperatur mehr Kalziumionen durch die Folie wandern. An der veränderten Stromleitfähigkeit kann dann die Temperatur abgelesen werden. Zudem ist die Haut hauchdünn, transparent und extrem deformierbar. Als Einsatzgebiete kommen damit Prothesen oder Roboter in Betracht, aber auch aufgelegte Fieberthermometer.

Im nächsten Schritt wollen die Projektleiterin Chiara Daraio und ihre transatlantischen Teams die Empfindlichkeit der Haut auf 90 Grad Celsius erhöhen. Damit würde die Folio auch für industrielle Anwendungen interessant. Und schon können die Roboter nicht nur tasten, sondern auch als genaues Thermometer dienen.

Doch die Forschung bleibt dabei nicht stehen. Ein anderes Projekt von der Universität Glasgow, das ebenfalls Anfang des Jahres vorgestellt wurde, hat eine berührungsempfindliche Haut aus einer Graphenschicht entwickelt, die gleichzeitig Strom für die Haut oder Akkus erzeugen kann. Denn unter der Haut haben die Forscher kleine Solarzellen platziert. In der nächsten Stufe will der Erfinder Ravinder Dahiya mit dem gewonnenen Strom auch die Motoren von Prothesen antreiben und die körperlichen Ersatzteile damit unabhängiger von Akkus machen.

Drei Nachrichten über neue künstliche Häute in einem Quartal – die Forschung scheint nun vom Prototypenstadium auf praxisnahe Anwendungsforschung umzuschalten. Nicht nur Roboter könnten daher bald auch im sensomotorischen Bereich größere Fortschritte erzielen, sondern auch die Prothesentechnik, wenn die Rückmeldung der sinnlichen Eindrücke ans menschliche Gehirn gelingt. Und ehe wir uns versehen, verfügen plötzlich "behinderte" Menschen über übermenschliche Fähigkeiten. Womöglich werden sie damit zum Vorreiter der neuen menschlichen Evolutionsstufe, in der wir Menschen beginnen, uns mit Technik nicht nur zu umgeben, sondern mit ihr zu verschmelzen. ()