DHL: Experimente bitte!
Die Deutsche Post baut ein zweites Werk für ihre Elektrolieferwagen Streetscooter. Nicht nur mit dem Vorstoß zur Elektromobilität geht der Logistiker neue Wege. Auch in vielen anderen Bereichen ist der vermeintlich langsame Konzern weiter als etwa Amazon.
- Udo Flohr
Eigentlich kann nicht gewinnen, wer DHL lobt. Auf der Facebook-Seite "DHL Paket" sind sich Postkunden einig: Keine Experimente bitte! Welche Neuerung das DHL-Marketing auch ankündigt – Lieferung per Drohne, Wunschzustellung zwischen 18 und 21 Uhr, wahlweise in den Kofferraum des eigenen Pkws – innerhalb von Minuten ziehen die Jubelmeldungen hämische Kommentare auf sich, Tenor: Sorgt einfach dafür, dass meine Pakete ankommen und der Paketbote nicht nur Abholkarten einwirft, sondern tatsächlich klingelt.
Logistik-Alltag mit Paketen
"Unsere Zusteller liefern jeden Werktag mehr als 3,9 Millionen Pakete aus. Knapp 90 Prozent erreichen ihre Empfänger bereits am nächsten Werktag", meint dazu die zuständige DHL-Sprecherin. "Das schafft kein anderes Postunternehmen in Europa." Doch auf Nachfrage stellt sich heraus: Auch sie hatte privat schon mal Paketärger.
Und doch greift der Stoßseufzer zu kurz, die Post möge exotische Projekte ihres Innovationszentrums in Troisdorf bei Bonn zurückstellen, um erst mal das Kerngeschäft in den Griff zu kriegen. Zustellprobleme sind meist auf Zeitdruck zurückzuführen und damit auf den beinharten Wettbewerb im Paketgeschäft. Er läuft derzeit fast ausschließlich über den Preis, damit sind Qualitätseinbußen einkalkuliert. Als die Stiftung Warentest 2014 Arbeitsbedingungen und Umweltschutz bei Paketdiensten untersuchte, wurde DP-DHL zwar Testsieger. Um Wettbewerbsnachteile auszugleichen, gründete die Post allerdings ein Netz regionaler Subunternehmer (DHL Delivery), das Zusteller meist unbefristet, aber mit weniger Zulagen beschäftigt. "Der Preiswettbewerb darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten erfolgen", meint dazu Ver.di-Sprecherin Eva Völpel.
Neue Ideen für die Logistik
Wer dem ruinösen Preiswettbewerb entkommen will, muss sich etwas ausdenken. Ohne neue Ideen wird der Kampf um den Kunden kein gutes Ende nehmen. Und die wichtigste Frage ist jene, die auch die Facebook-Kommentatoren umtreibt: Wie kommt das Paket am besten zum Kunden?
Eine frühe Antwort waren die Packstationen, ein bundesweites Netz automatischer Schließfachanlagen. Als erstes Unternehmen führte DHL sie in Deutschland ein. Immerhin acht Millionen Kunden konnte das Unternehmen seit 2001 für das Angebot gewinnen. Hacker kaperten kürzlich zwar die Sicherheitscodes und erhielten Zugang zu den Paketfächern. DHL konnte die Sicherheitslücke aber rasch schließen. Nun zieht Amazon mit Amazon Locker nach, zunächst als Test in München. Eine weitere Idee scheint ebenfalls bei den Konkurrenten zu verfangen: Seit 2014 experimentiert DHL mit Paketkästen vor Privathäusern – mit ParcelLock folgen nun die Mitbewerber DPD, Hermes und GLS.
DHL und die Paketdrohnen
Besonders spannend werden die Packstationen, wenn es um Lieferungen per Drohne geht. Unwahrscheinlich ist, dass die Fluggeräte vor jeder Wohnungstür landen – was bei Einfamilienhäusern ein Sicherheitsproblem und in Mehrfamilienhäusern schlicht unmöglich wäre. DHL lässt seine Paketkopter daher die Packstationen ansteuern und hat auf diesem Gebiet weltweit die Nase vorn. Konkurrent Amazon machte mit dem Thema zwar schon früher Schlagzeilen, erhielt in den USA aber keine Genehmigung für Tests außer Sichtweite. Ende Juli verlegte Amazon diese notgedrungen ins englische Cambridgeshire, dessen Bevölkerung prompt mit Protesten reagierte.
(Bild: DHL)
Der DHL-Paketkopter dagegen ist inzwischen bereits in der dritten Generation unterwegs. Er kann Lieferungen bis zwei Kilogramm an entsprechend ausgestatteten Packstationen selbstständig be- und entladen und sich dort auch einen frisch geladenen Akku abholen (siehe TR 8/2016, S. 8). Die Lastendrohne landet und startet senkrecht wie ein Hubschrauber. Für den Reiseflug mit 70 Stundenkilometern dreht sie ihre Tragflächen waagerecht und kann dann bis zu einer Stunde in der Luft bleiben. Bei monatelangen Tests auf der Winklmoosalm in den bayerischen Alpen absolvierte sie erfolgreich 130 Frachtflüge und transportierte dabei unter anderem Medizin. Die Tests zeigen gleichzeitig, dass die Einsatzgebiete vor allem ländliche Gegenden sein werden. In städtischen Straßenschluchten würden die Drohnen angesichts von Oberleitungen und engen Gassen fast übernatürliche Navigationskünste benötigen.
Lieferung per Elektrowagen
Sollte Amazon demnächst auch mit eigenen Lieferwagen unterwegs sein, muss es sich daran messen lassen, wie die Post vorfährt: mit dem Elektromodell Streetscooter. 2014 kaufte der Konzern kurzerhand ein vier Jahre zuvor an der RWTH gegründetes Start-up und produziert seitdem auf eigenes Risiko ein gemeinsam entwickeltes Zustellfahrzeug, das so nicht auf dem freien Markt zu finden war.
(Bild: DHL)
Kein anderer Logistikkonzern weltweit setzt so konsequent auf saubere und leise Fahrzeuge. 800 Modelle wurden zu einem kolportierten Stückpreis von 22.000 Euro hergestellt, weitere 1200 sind bis Ende 2016 geplant, 30.000 für die nächsten Jahre angekündigt. In Deutschland und den Beneluxstaaten sind sie bereits im Einsatz und werden inzwischen auch an andere Geschäftskunden vermarktet. Inzwischen baut die Deutsche Post sogar ein zweites Werk für die Lieferfahrzeuge.
In der Brief- und Paketzustellung halten Streetscooter 300-mal pro Tag – dafür sind Elektrofahrzeuge prädestiniert. Ein 30-Kilowatt-Asynchronmotor beschleunigt sie auf maximal 80 Stundenkilometer. Die Zuladung beträgt 650 Kilogramm. Der Scooter fährt 50 bis 80 Kilometer und lädt dann sieben Stunden an einer normalen Steckdose auf. Die Fahrzeuge stünden in der Nacht ohnehin, so Jürgen Gerdes, Chef der Sparte Post/eCommerce/Paket. "Somit brauchen wir keine Schnellladestationen."
Roboter-Kollegen in der Logistik
(Bild: Rethink Robotics)
Letztes Beispiel: die "Cobots", oder auf deutsch „kollaborativen Roboter“. Die Deutsche Post testete zwei Modelle von Rethink Robotics an verschiedenen Standorten. Sie sollen mit Menschen am selben Arbeitsplatz zusammenarbeiten. Ihre Stärken, etwa bei wiederkehrenden Tätigkeiten, sollen sich mit den Fähigkeiten der Beschäftigten – zum Beispiel die Qualitätskontrolle – ergänzen. Die Cobots "Sawyer" und "Baxter" lernen durch Nachahmung und passen sich an. Die DHL-Abteilung "Lagerdienstleistungen" etwa nutzt sie zum Zusammenstellen, Etikettieren und Verpacken.
Konkurrent Amazon setzt zwar ebenfalls über 30.000 Roboter des 2012 übernommenen Herstellers Kiva ein, doch derartige Hilfestellungen sind von ihnen bisher nicht überliefert. Im Vergleich könnte man sie eher als fahrerlose Flurförderzeuge charakterisieren. Baxter und Sawyer hingegen werden früher oder später – wenngleich unangenehme – Arbeitsplätze wegrationalisieren. Zwecks Kompensation schlug Postchef Frank Appel daher jüngst eine Robotersteuer vor.
Jobentwicklung bei DHL
Mit dieser Mischung aus spektakulären Experimenten und kleinen Verbesserungen kann sich DHL nach wie vor als weltgrößter Frachtdienstleister behaupten. In Deutschland befördert er jedes zweite deutsche Paket und plant 10.000 neue Jobs in der Zustellung.
Auf sicherem Terrain bewegt sich der Konzern deshalb aber noch lange nicht. Eine von SAP und IBM entwickelte IT-Innovation zur Modernisierung der Frachtsparte ist dafür das jüngste Beispiel: Sie ging gründlich in die Hose und verhagelte Appel vorerst die Bilanz. Gerüchte sprechen von einem Milliardenschaden. Im dritten Quartal 2015 schrumpfte das Nettoergebnis um 90 Prozent. Für das Gesamtjahr 2015 erfüllte sich die Gewinnprognose jedoch, und seitdem geht es wieder aufwärts.
Paket-Roboter auch bei anderen Logistikern
Aber auch die Konkurrenz ruht nicht: Hermes testet derzeit in Hamburg Lieferroboter. Die kleinen autonomen Wagen der Firma Starship Technologies sollen Pakete bis zehn Kilogramm transportieren – gemütlich auf dem Bürgersteig in Gehgeschwindigkeit. Experimente in London, Washington und Tallinn liefen dem Hersteller zufolge gut. Das Start-up könnte damit der Lieferung per Drohne Konkurrenz machen. Der Roboter ist nicht nur technologisch weiter, sondern vielleicht auch gesellschaftlich akzeptierter: "Den Leuten gefällt es in der Regel nicht, wenn gefährlich brummende Dinger über ihre Köpfe fliegen", so Gründer Ahti Heinla. Nun will Hermes herausfinden, ob die Gefährte auch hierzulande Akzeptanz finden – und ob Kunden der Service einen Aufpreis wert ist. Die Bodenroboter könnten beispielsweise Medikamente oder Essen an Personen ausliefern, die nicht mehr gut zu Fuß sind.
Konkurrent UPS stellt sich bereits auf eine Zeit ein, in der viele Dinge womöglich überhaupt nicht mehr geliefert werden. Der 3D-Druck könnte die Logistik ähnlich beeinflussen wie einst die E-Mail den Briefverkehr: Statt einfache Produkte und Ersatzteile auf Vorrat zu lagern, bezieht man nur noch die digitalen Konstruktionsdaten. UPS setzt bereits über tausend 3D-Drucker in Filialen ein. Auch DHL experimentiert damit im Neuheitenlabor Troisdorf.
Anreize für Paketboten
Die heftig beklagten Zustellprobleme fallen damit zwar nicht weg, weil auch die ausgedruckte Ware das letzte Stück zum Kunden transportiert werden muss. Um die Paketboten zu motivieren, gäbe es aber vielleicht eine ganz einfache Lösung: die neumodische Unart des vorausbezahlten Portos abzuschaffen. Bis ins 17. Jahrhundert zahlten regelmäßig die Empfänger das Porto – sofern sie zufrieden waren. Paketboten würden so vermutlich ruck-zuck wieder das Treppensteigen lernen.
(jle)