Auf Biegen ohne Brechen

Sie verleiht Kleidung Intelligenz oder schmiegt sich an die Haut – und lässt die Grenzen von Mensch und Maschine verschwimmen.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Uta Deffke

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 24.4.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Gebrochenes Herz? Pflaster drauf!“ So könnte der Werbeslogan für Tal Dvirs neueste Entwicklung lauten: ein Netz aus Kunststoff-Nanofasern, gespickt mit Herzmuskelzellen, elektronischen Sensoren und Aktoren. Es soll nach einem Herzinfarkt beschädigte Bereiche nicht nur – wie in bisherigen zellbasierten Ansätzen – auf natürliche Weise unterstützen, sondern sie auch steuern und überwachen. Mit Rattenzellen haben Dvir und seine Kollegen von der Tel Aviv University das schon geschafft. Außerdem gelang es ihnen, medizinische Wirkstoffe aus winzigen eingewobenen Medikamenten-Containern freizusetzen.

Entscheidende Voraussetzung für das Herzpflaster sind geschmeidige leitende und halbleitende Materialien. Sie schaffen auch jenseits der Medizin ganz neue Möglichkeiten – vor allem bei Wearables. Und während Dvir seine Entwicklung selber noch als Science-Fiction einstuft, wächst der Markt der am Körper oder in die Kleidung integrierten Elektronik ständig. Jüngstes Beispiel ist die Jeansjacke mit dem smarten Ärmel, die Levi’s und Google im März auf dem SXSW-Festival in Austin, Texas, vorgestellt haben. Sie soll endlich Schluss machen mit umständlicher Smartphone-Bedienung während der Fahrradfahrt. Stattdessen reicht ein Wisch über den mit Golddrähten durchwobenen Ärmel, um einen Anruf anzunehmen oder die Musik leiser zu stellen. Elektronik und Funkverbindung sitzen in der Manschette. Aussicht auf den US-Verkaufsstart: Herbst 2017. Bis dahin sollen auch die letzten Softwareprobleme behoben sein.

Gleichzeitig aber zeigt die Jacke die heutigen Grenzen. Die Elektronik muss zum Waschen abgenommen werden. Sie ist trotz steter Miniaturisierung noch sperrig. Auch die kabellose Stromversorgung stellt die Forscher vor Herausforderungen. Sie arbeiten unter anderem an Konzepten des Energy Harvesting, also der Gewinnung kleiner Mengen von elektrischer Energie aus Quellen wie Umgebungstemperatur, Vibrationen oder Luftströmungen. Auch die Herstellung gestaltet sich nicht ganz einfach, wie die mehrmals verschobene Premiere des Kleidungsstücks bewiesen hat. Das entscheidende Problem bei der Produktion flexibler Elektronik ist, dass Metalle nicht von sich aus elastisch sind. Aktuell wird der Bedarf zu 95 Prozent durch ITO (Indium-Oxid mit Zinn versetzt) gedeckt, das auf biegsame Kunststoffunterlagen aufgebracht wird. Doch die ideale Lösung sei das nicht, erläutert Peter William de Oliveira vom Saarbrücker Leibniz-Institut für Neue Materialien (INM): „Zum einen entstehen wegen der unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten zwischen Metall und Kunststoffunterlage leicht Mikrorisse, was die Leitfähigkeit beeinträchtigt. Zum anderen ist das Herstellungsverfahren sehr aufwendig.“ Deshalb suchen Forscher nach immer besseren und robusteren Materialkombinationen, die auch das Spektrum der Funktionalitäten erweitern – von bloßen Leitungen über Halbleiter für komplexere Schaltelemente wie Transistoren bis zu Elementen, die aus Bewegung Strom erzeugen können.

(grh)