Operationen an der offenen Medizin

Abseits von zertifizierten medizinischen Geräten arbeiten Hacker und andere Techniker an kostengünstigen Alternativen, die sich jeder selber bauen kann. Einige Beispiele und Hackathons zeigen, wie weit die Bewegung der Open Medicine bereits ist.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Mit einem YouTube-Clip hatte Michael Laufer im September letzten Jahres im Netz einige Berühmtheit erreicht. In dem Video zeigt der Amerikaner, wie er eine Adrenalin-Spritze selbst baut, die zum Einsatz kommt, um einen anaphylaktischen Schock zu verhindern. Laufer nennt seine Version EpiPencil, sie kostet circa 35 Dollar (33 Euro). Mit einer handelsüblichen Injektionsnadel für Diabetiker, einem Plastikgehäuse mit Sprungfeder, einem Auslöseknopf und einer Dosis Epinephrin (0,3 Milliliter für Erwachsene) lässt sich das lebensrettende Gerät unkompliziert nachbauen. Eine Zehn-Punkte-Anleitung und Links, wo die Bestandteile erhältlich sind, liefert Laufer als Download auf seiner Projekt-Homepage Four Thieves Vinegar mit.

Dabei ist er selbst kein Mediziner, sondern Mathematiker an der City University of New York. "Jeder sollte in der Lage sein, das zu tun, was wir in unserem Projekt getan haben. Man sollte die Teile besorgen können, sie zusammensetzen und die Medikamente bekommen, die man benötigt, wenn man vom Zugang entrechtet wurde", erklärt Laufer in einem Medienbericht seinen Ansatz.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Mit seinem DIY-Projekt reagiert Laufer auf eine rapide Preissteigerung des EpiPens der Firma Mylan Pharmaceuticals. Diese hat mit ihrem FDA-zertifizierten EpiPen in den USA gewissermaßen ein Monopol auf die Injektionsspritzen. Daher sorgte im vergangenen Sommer der Preis-Peak bei rund 600 Dollar für einen Zweier-Pack für Aufregung – eine Preiserhöhung von über 450 Prozent ausgehend von etwa 100 Dollar in 2004. Mit der richtigen Dosis befüllt scheint der selbsthergestellte EpiPencil von Laufer eine Alternative zu sein.

Die FDA ist von solchen Projekten nicht begeistert. Die Website The Parallax zitiert die Sprecherin Theresa Eisenman der amerikanischen Behörde zur Arzneimittelzulassung: "Die Epinephrin-Autoinjektoren sind lebensrettende Produkte, es ist daher entscheidend, dass sie unter hohen Qualitätsstandards hergestellt werden, damit Patienten sich darauf verlassen können, dass sie sicher und effektiv funktionieren." Weder die FDA noch die amerikanische Öffentlichkeit hätten irgendeine Versicherung, dass nicht-genehmigte Produkte effektiv und sicher seien.

Dennoch hat Laufer mit dem "Apothecary MicroLab" inzwischen sein zweites Projekt online gestellt. Dabei liefert er die Anleitung für ein System, mit dem sich Nutzer ihre eigene Medikation zusammenstellen können. Sein Beispiel zeigt, dass sich die Maker- und DIY-Community nicht entmutigen lässt, durch eigene Ideen und Ansätze in der Medizin und Gesundheit neue Wege zu gehen. Open Medicine heißt die Bewegung, analog zu Open Source im Softwarebereich. Ihr Ziel ist es, mehr Menschen Zugang zu medizinischen Angeboten zu geben – sei es, weil sie kostengünstige Geräte entwickeln, medizinische Forschungsergebnisse frei verfügbar machen oder Dienstleistungen entwickeln, die es so noch nicht gibt.

"Ich erwarte von der Digitalisierung eine Egalisierung", sagt Tobias Gantner, Gründer der HealthCare Futurists und Initiator von Hackathons speziell für die Bereiche Medizin und Gesundheit. Er vergleicht den Fortschritt mit der Verbreitung von Computern – anfangs eine Maschine für Nerds, heute hat eine Vielzahl der Menschen einen Rechner Zuhause. Hackathons sollen Leute mit innovativen Ideen zusammenzubringen und so Mängel im Medizin- und Gesundheitssektor beheben. Und zwar ausdrücklich nicht Auftragsforschung. "Die Teilnehmer sind kein verlängerter Arm eines Industriepartners", betont Gantner. So können im besten Falle Lösungen entstehen, die kein etablierter Anbieter auf dem Schirm hatte.

Mehr Infos

Der nächste Hackathon von innovate.healthcare findet vom 12. bis 14. Mai in München statt – unterstützt von Technology Review. Hier gehts zur Anmeldung:

Als Beispiele nennt Gantner eine App, die das Buch eines Orthopäden über Rückenschmerzen patientengerecht digitalisiert und verständlich aufbereitet hat, oder einen Beipackzettel mit Symbolen in Zeichensprache, damit auch Patienten, die nicht lesen oder kein Deutsch können, die Wirkung und Nebenwirkungen des Medikaments verstehen. "Dazu soll im Prinzip jeder an den Tisch geholt werden, der schon einmal krank war und damit seine Erfahrungen gemacht hat", erklärt Gantner den praktischen Ansatz.

Das trifft auch auf Dana Lewis zu. Statt auf die langwierige Zulassung von neuen, modernen Insulinpumpen zu warten, legten die Kommunikationswissenschaftlerin und an Typ-1-Diabetes Erkrankte und ihr Mann, Scott Leibrand, Netzwerktechniker bei Twitter, selbst Hand an. Mit ihrem Projekt OpenAPS (Open Artificial Pancreas System) haben sie eine künstliche Bauchspeicheldrüse entwickelt. Das System erfasst Daten vom Glukose-Messgerät, schickt sie an einen Mini-Computer wie Raspberry Pi. Ein selbstprogrammierter Algorithmus berechnet die dazu passende Insulin-Dosis. Über einen angeschlossenen Bluetooth-Funkstick geht diese Anweisung an die Insulinpumpe.

Komponenten des OpenAPS-Systems: 1) Glukose-Messer, 2) Insulinpumpe, 3) Steuerungsgerät wie ein Raspberry Pi, 4) Batterie, 5) Funkstick.

Weniger als 100 Dollar kostet die Ausstattung. Die Anleitung dafür stellten Lewis und Leibrand nach einer Probezeit bei Lewis schließlich online. Programmierkenntnisse sowie eigene Programmierarbeit sind hier aber – etwa im Unterschied zu Laufers einfach zusammensetzbarem EpiPencil – erforderlich. "Wir sind der Überzeugung, dass wir sichere und wirksame APS-Techniken schneller mehr Menschen zugänglich machen können, als auf die aktuellen APS-Bestreben von vollständigen klinischen Studien, Zulassung durch die FDA und die Kommerzialisierung zu warten", schreibt das Paar auf ihrer Projekt-Website.

Tobias Gantner ist auch überzeugt, dass Ansätze wie die von Michael Laufer mit seinem DIY EpiPencil und Dana Lewis mit ihren frei verfügbaren Designs für Insulinpump- und Messsysteme einmal eine größere Breitenwirkung haben werden, auf die Arbeit der Ärzte und Krankenhäuser – und auf den hoch regulierten Bereich, den die Krankenkassen erstatten dürfen. "Es bildet sich gerade eine Bewegung der 'Digitalen Supplemente' heraus", beschreibt Gantner und meint damit zum Beispiel Wearables und Tracker. "Sie können sich ein zwölfkanaliges EKG um den Körper schnallen, das ist unkomfortabel und stigmatisierend. Oder Sie können das mit einem Wearable erledigen." Diese Entwicklung sei momentan noch auf "Early Adopters" beschränkt, aber mit dem Generationenwechsel und dem Älter-Werden von heutigen jungen Erkrankten, etwa an Diabetes Typ-1, werde diese Open Source-Orientierung zunehmen.

(jle)