Der Futurist: Good Vibrations

Was wäre, wenn Bots wirklich einfühlsam wären?

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"Reg dich nicht so auf“, säuselte es aus den Deckenlautsprechern. "Ich will mich aber aufregen", schrie Dave ins Wohnzimmer und schmiss die Haustür ins Schloss. Dennoch schaltete sein Smart-Home-Bot C.A.Y.L.A. prompt den Relax-Modus ein: Vogelgezwitscher ertönte, der kleine Brunnen begann zu plätschern, der Raum färbte sich in einem zarten Grünton. Dave registrierte, wie er sich tatsächlich entspannte. Keine Frage, C.A.Y.L.A. hatte ihre Feng-Shui-Hausaufgaben gemacht.

Der Futurist

(Bild: 

Mario Wagner

)

"Was wäre, wenn ...": TR-Autor Jens Lubbadeh und die Redaktion lassen in der Science Fiction-Rubrik der Kreativität ihren freien Lauf und denken technologische Entwicklungen in kurzen Storys weiter.

Und auch sonst waren die Fähigkeiten von C.A.Y.L.A. recht beeindruckend. Er fühlte sich oftmals von dem Programm besser verstanden als von seiner Freundin Linda. Dabei war ihre Beziehung ziemlich gut gestartet. Kennengelernt hatten sie sich über die Dating-App Tinder. Als diese 2020 künstliche Intelligenz einsetzte, um Singles zu verkuppeln, konnte die Firma Garantien dafür ausstellen, den passenden Partner zu finden. "Hier ist jemand in deinem Viertel, der dir gefallen wird. Sie findet dich auch attraktiv. Sie hat morgen Abend Zeit. Ihr mögt dieselbe Band, die bald ein Konzert gibt. Tickets bestellen?", war als Nachricht auf seinem Smartphone erschienen. Von da an war alles glattgelaufen. Doch nun zeigte ihm ein Bot, was wirkliche Empathie ist.

Das wurde gestern wieder klar. Beim romantischen Essen zu ihrem Jahrestag stocherte Dave nur lustlos in seinem Essen. Aber Linda merkte es einfach nicht. Sie hatte nur von ihrem Tag erzählt und beschwerte sich schließlich noch, dass er gar kein Interesse zeigte. C.A.R.L. dagegen, Lindas Social-Bot, habe sie gleich genauer nach dem neuen Kollegen gefragt. "Aber dir ist das wohl egal", sagte Linda schnippisch.

Bevor Dave antworten konnte, stieg eine Art Rosenaroma auf. Das konnte eigentlich nur "Atmo-1" sein, eine Substanz, die in ihrer Struktur den Endorphinen ähnelte und durch das Lüftungssystem in den Raum strömte. Bei seinem Bot, C.A.Y.L.A., hatte Dave dieses Feature nicht aktiviert. Sollte C.A.R.L. Daves Missmut bemerkt haben und nun versuchen, ihn aufzumuntern? Die ersten Klänge von "Good Vibrations" der Beach Boys ertönten. Dave fühlte sich gleich besser.

"Das ist ja wieder typisch. Du schlägst dich gleich auf seine Seite", blaffte Linda in den Raum hinein. Offenbar hatte Linda bei C.A.R.L. tatsächlich das Social-Modul installiert. Mit ihm war der Bot in der Lage, sich nicht nur auf den Besitzer zu konzentrieren, sondern auch die Mitmenschen zu bedenken. Lindas Ärger verwirrte C.A.R.L. offenbar, denn er schaltete wortlos wieder in Lindas Home-Programm: italienische Musik, Video vom Sonnenuntergang an der Rialto-Brücke an der Wand und eine warme Temperatur. Zugleich bemerkten die Kamerasensoren aber wieder Daves traurigen Blick. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis C.A.R.L. wieder umschaltete und auf Dave einging. Linda war außer sich. Immer schneller wechselten sich nun die Modi ab.

Dave begann zu fluchen. "Reg dich nicht so auf", schaltete sich C.A.Y.L.A. ein und spielte das Vogelgezwitscher aus der Sound-Datenbank ab. Dazu gab es wechselnde Zimmerbeleuchtung von Grün zu Orange, den Popsong in voller Lautstärke und Endorphin-geschwängerte Luft. Und Dave wusste nicht mehr, wer eigentlich mit wem stritt: Er mit Linda, Linda mit ihrem Computer, die Computer untereinander oder alle vier mit wechselndem Frontverlauf? Schließlich schaltete Dave den Strom ab. Der Streit mit Linda blieb, aber immerhin waren nun die Fronten klar.

Er nahm sich vor, Chap Inc., dem Bot-Entwickler, umgehend eine Mail zu schreiben. Er wollte ihm vorschlagen, den Bots eine eigene Meinung zu erlauben, damit sie bei menschlichen Streitfällen nicht immer zwischen den Stühlen saßen. Natürlich nahm er an, dass sie seiner Meinung sein werden.

(jle)