"Wenn es um menschliches Leben geht, gibt es immer regulatorische Herausforderungen"

Jensen Huang, Chef des Chipkonzerns Nvidia, spricht im Technology-Review-Interview über die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz.

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Von
  • Tom Simonite

Technikfirmen und Investoren stecken seit kurzem riesige Geldberge in den Bereich der Künstlichen Intelligenz – und ein nicht unerheblicher Teil davon fließt in Richtung von Ausrüstern wie dem Chiphersteller Nvidia, bekannt für seine Grafikprozessoren. Der Umsatz der Firma steigt – auch weil sie mittlerweile spezifisch an KI-Vorhaben angepasste Produkte anbietet, die etwa mit maschinellem Lernen besonders gut umgehen können oder mit der Bilderkennung für autonome Fahrzeuge. Nvidia-CEO Jensen Huang sprach mit Technology Review über die Frage, wo die KI heute wirklich steht.

Technology Review: Herr Huang, Nvidia hat stark von der explosiven Ausdehnung der Investitionen im Bereich des maschinellen Lernens profitiert. Wird dieses Wachstum anhalten?

Jensen Huang: Wir stehen noch ganz am Anfang. Sehr wenige Codezeilen im Enterprise- und Industriebereich überall auf der Welt nutzen Verfahren der Künstlichen Intelligenz bislang überhaupt. Im Bereich der Internet-Dienste-Firmen ist die Technik schon ziemlich verbreitet, mir fallen da insbesondere zwei oder drei große ein. Aber es gibt noch eine große Zahl anderer Firmen im technischen und industriellen Bereich, die sich in einer Aufholjagd befinden. Software mag die Welt fressen, aber KI frisst Software.

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TR: Welche Industrie wird das maschinelle Lernen als nächstes tranformieren?

Huang: Eine ist die Autoindustrie. Zehn der größten Autohersteller der Welt waren auf unserer jährlichen Entwicklerkonferenz im kalifornischen San José. Ein weiterer Bereich ist das Gesundheitswesen und der Einfluss, den das auf die Gesellschaft hat, wird sehr groß sein. Gesundheitsinformationen sind chaotisch und unstrukturiert, aber Computer können sie nun verstehen, um Ärzten bei ihrer Diagnose oder ihren Vorhersagen zu helfen.

TR: Zwar gibt es durchaus bereits beeindruckende Studienergebnisse im KI-Diagnostikbereich, doch es ist ja noch völlig unklar, wie die Aufsichtsbehörden diese testen und zulassen sollen.

Huang: Ja, wir sprechen über das menschliche Leben – und da gibt es immer regulatorische Herausforderungen. Wir können aber nicht die Auswirkungen einer Technik ignorieren, die Ergebnisse bringt, die 10 oder 1000 Mal besser sind als zuvor. Ich habe volles Vertrauen, dass vernünftigen Geistern klar werden wird, welche Vorteile solche Systeme haben, damit sie in die Hände von Ärzten, Radiologen und anderem Medizinpersonal gelangen, damit sie einen besseren Job machen können. Die Firma Arterys bekam kürzlich von der US-Medizinaufsicht FDA eine Genehmigung für ihr System zur Herzbildanalyse. Und ich weiß von vielen anderen, die ihre Systeme in der Pipeline haben.

TR: Maschinelles Lernen in Autos ist auch ein regulatorisches Problem. Nvidia hat Software gezeigt, die nur von dem lernen muss, was ein menschlicher Fahrer tut. Allerdings fragt sich, wie sie dann mit ganz neuen Szenarien umgehen soll.

Huang: Die Mächtigkeit dieses Ende-zu-Ende-Ansatzes ist sehr verlockend. Wir glauben wirklich, dass KI-Systeme auf lange Sicht ähnlich fahren werden wie menschliche Fahrer – wir brechen das Problem nicht mehr herunter auf Objekte, Bilderkennung, Ortserkennung oder Vorausplanung. Aber wie lange das dauert, ist noch die große Frage. Dass das alles richtig funktioniert, ist eine große Herausforderung. Wenn das System dann mal versagt, müssen wir entscheiden, was zu tun ist – denn wir versuchen ja, das ganze System in einem Aufwasch zu trainieren. Wahrscheinlich müssen wir das Problem in kleinere Teile zerlegen.

TR: Ihre Chips stecken bereits in manchen Autos, alle Tesla-Fahrzeuge nutzen den Nvidia-Fahrcomputer Drive PX 2 für das Autopilot-Feature, mit dem man automatisiert über Autobahnen fahren kann. Nutzt die Funktion Ihre Hardware voll aus? Könnte sie auch vollautonomes Fahren kontrollieren?

Huang: Drive PX 2 ist eine Rechenplattform, die viele Leistungsreserven hat – die Idee war, dass diese ausreichen, um die Software kontinuierlich zu aktualisieren und die Nutzer mit Verbesserungen zu beglücken. Für volle Autonomie, also das fahrerlose Auto, gibt es noch einige Unbekannte. Es läuft hier aber viel Software-Entwicklung. So genau kann ich das also noch nicht sagen, aber wir werden es herausfinden.

TR: Intel, Google und verschiedene andere Firmen arbeiten mittlerweile an Chips, die speziell zur Beschleunigung maschinellen Lernens gedacht sind. Wie wollen Sie da vorne bleiben?

Huang: Viele Leute haben die Wichtigkeit dieses Marktes erkannt und ich denke, er wird sehr groß werden. Wir werden die vielen Jahre unserer Investitionen in Grafikchips und unser zweieinhalb Milliarden Dollar schweres Forschungsbudget in den Bereich Deep Learning steuern. Unsere Architektur soll es außerdem überall geben: In PCs, Servern, in der Cloud, in Autos und in Robotern.

TR: Sie stimmen mit Forschern überein, die sagen, dass die physikalischen Herausforderungen, Transistoren kleiner und stromsparender zu machen, den Fortschritt in der Leistungsfähigkeit von Computerprozessoren ausbremsen. Sie selbst behaupten aber, durch die Spezialisierung Ihrer Hardware seien Sie von dem Problem weniger betroffen. Doch auch Sie stoßen doch irgendwann an die Grenzen der Physik, oder?

Huang: Das ist gar keine Frage. Aktuell erschließen wir uns die Ineffizienzen von Hauptprozessoren und Software durch unsere spezialisierteren Grafikchips. Mein Gefühl ist, dass wir davon noch ein paar Jahrzehnte profitieren werden. Doch irgendwo müssen wir dann etwas Neues finden. Wir haben ein tolles Ingenieursteam in der Firma, das an den Grenzen der physikalischen Machbarkeit kratzt – und einige tolle Herstellungspartner. Zusammen werden wir schon den Weg finden.

(bsc)