Die Kreationisten

Leben könnte bald ohne Evolution entstehen. Mit der synthetischen Biologie wollen Forscher Organismen auf dem Reißbrett planen und sogar künstlich erschaffen.

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Von
  • Susanne Donner

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 24.5.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Der Organismus als Maschine – kaum einer treibt diese Sicht mehr ins Extrem als Craig Venter. Berühmt geworden mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, sieht er alles Lebendige in erster Linie als Biomaschine, programmiert per DNA. Also liegt der Gedanke nahe, sie auch wie ein Ingenieur herzustellen. Seit zwanzig Jahren versucht der Genforscher, ein künstliches Bakterium zu erschaffen. 2016 konnte er mit seinem Team einen wichtigen Durchbruch vermelden. Die Gene des Bakteriums Mycoplasma mycoides hatten die Forscher von 901 auf 473 verschlankt, indem sie alles herauswarfen, was für den Lebenserhalt überflüssig war. Die abgespeckte 473-Genversion stellten sie synthetisch her und verfrachteten sie in eine entleerte Zellhülle von Mycoplasma mycoides. Das Konstrukt lebte, sprich: futterte und teilte sich. In drei Stunden verdoppelte sich die Zellzahl. „JCVI-syn3.0“ heißt das artifizielle Bakterium jetzt. Venters Ergebnisse sind zwar Grundlagenforschung. Doch langfristig will er zeigen, dass sich mit derartigen Methoden Organismen nicht nur nachbauen, sondern neu erfinden lassen. Die künstlichen Zellen könnten als Produktionsstätten für Pharma-, Chemie- und Textilindustrie dienen, stellt der Forscher in Aussicht.

Hat Venter Leben erschaffen? „Es ist auf jeden Fall eine neue Stufe verglichen mit der Gentechnik, die einzelne Gene ausschaltet oder neu einbringt“, sagt Christoph Rehmann-Sutter von der Uni Lübeck, der sich als Philosoph mit der Definition der synthetischen Biologie auseinandersetzt. Für ihn gilt als synthetische Biologie, wenn Teile des genetischen Codes synthetisch hergestellt und in bestehende oder künstliche Lebensformen eingefügt werden. Die Technik für dieses „Schreiben von DNA“ gibt es seit den achtziger Jahren und erfolgt heute in vollautomatisierten Maschinen. Aber als neue Lebensform würde er Venters Organismus nicht bezeichnen. „Das Original ist ein bereits existierender Organismus. Bestehendes lebt im Grunde weiter.“

Andere Wissenschaftler distanzieren sich bewusst von Venters Schöpfungsträumen. „Neue Lebensformen zu erzeugen steht für mich überhaupt nicht im Fokus. Einen Homunkulus erschaffen wir ganz bestimmt nicht“, betont Alfred Pühler, Biotechnologe an der Universität Bielefeld. „Neu und einzigartig an der synthetischen Biologie ist, dass sie eine ingenieursartige Sicht in die Biologie bringt.“ Einst entstanden die ersten gentechnisch veränderten Organismen durch plumpes Ausprobieren im Labor. Heute entwerfen Pühler und Kollegen ihre Konstrukte am Reißbrett oder am PC. Die Gene sind für sie Bauteile, die sie legoartig neu arrangieren, herausnehmen und ergänzen.

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 66 - Am Reissbrett: Ingenieure des Lebens

Seite 68 - Neuer Zoo: Designermikroben könnten Mensch und Umwelt nutzen

Seite 72 - CO2-Recycling: Ein künstlicher Stoffwechsel wandelt Kohlendioxid in Rohstoffe um

Seite 74 - Ethik: Notausschalter sollen die Kunstorganismen unter Kontrolle halten

Seite 76 - Nanobots: Mikroroboter im Körper versprechen maßgeschneiderte Therapien

(inwu)