"Missing Link": Vom Antikommunismus bis zu Ufos – Blick in alte BND-Akten

Das Bundesarchiv verwahrt in digitaler Form auch alte Akten des BND und seiner Vorgängerin, der Organisation Gehlen. Im Oktober 2016 gingen 30.000 Seiten online; weitere sollen folgen. Wir haben für Sie aufgeklärt.

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"Missing Link": Vom Antikommunismus bis zu Ufos – Alte BND-Akten veröffentlicht

(Bild: Bundesarchiv)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Ralf Bülow
Inhaltsverzeichnis

Geheimdienste sind ja gar nicht so. Im Januar dieses Jahres gab die CIA ihre CREST-Datenbank mit mehr als 11 Millionen Seiten ins Netz. Andere Unterlagen der Agency sind schon länger in gleicher Weise zugänglich. Auch Akten der NSA und des FBI lassen sich mühelos online einsehen. Manche Passage ist nach wie vor mit weißen Streifen überklebt und viele CIA-Akten sind recycelte Zeitungsartikel. Dennoch liest man sie ganz gerne.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Der Bundesnachrichtendienst setzte von 2011 bis 2016 zehn Mitteilungen der Forschungs- und Arbeitsgruppe "Geschichte des BND" ins Internet, die einst geheime Papiere darboten. Über die James-Bond-Kopie "Mister Dynamit" berichteten wir schon im Dezember 2014. Weniger bekannt wurde im Oktober 2016 eine Pressemitteilung des Koblenzer Bundesarchivs. Sie besagte, dass Akten aus der Frühzeit des BND nunmehr online zur Verfügung stünden.

Die im Pressetext genannten 30.000 Seiten stammen aus Unterlagen des Bundesnachrichtendiensts und seiner Vorgängerin, der Organisation Gehlen. Sie waren zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren mikroverfilmt und entsorgt worden. Das hätte in einer Krise eine schnelle Evakuierung oder Vernichtung des Materials ermöglicht. Später digitalisierte der BND die 2900 Mikrofilme, was rund fünf Millionen Scans ergab. Diese werden seit 2016 nach und nach ans Bundesarchiv abgegeben.

Das im Oktober freigegebene Material gehört zur ersten Tranche von 400.000 Digitalisaten, die von Pullach nach Koblenz überführt wurden. Auf der Homepage des Bundesarchivs ist es über die Suchmaschine invenio zu finden. Leider lassen sich deren Resultate nicht verlinken, weshalb wir die Leser bitten, die Abruf-Zeile am Ende der Pressemitteilung anzuklicken. Sie führt zur invenio-Seite und nach Wegklicken des Titelblatts in die Welt der Schlapphüte und Sonnenbrillen.

UNHEIMLICH – Der Bundesnachrichtendienst 1956 – 2016 (10 Bilder)

Die neue BND-Zentrale in der Chaussestraße in Berlin.
(Bild: martin lukas kim )

Die Kategorie "B 206 Bundesnachrichtendienst" umfasst Geheimakten in Digital- und Papierform. Die Klassifikation links unten auf der Seite schlüsselt die Inhalte auf; aufgerufene Archivalien stehen in der rechten Hälfte. Schon für die Online-Nutzung bearbeitete Akten tragen die blaue Zeile "Digitalisat anzeigen". Nach Anklicken erscheint ein Menü zum Blättern; der Druck auf die rechte Maustaste ermöglicht ein Vergrößern und Speichern einer Seite. Gelegentlich gibt es aber nur die gelbe Meldung "Das Digitalisat ist nicht zur Anzeige im Internet freigegeben."

Im Unterschied zu CIA- oder FBI-Akten sind die Pullach-Papiere recht überschaubar. Punkt 1 zur Leitung setzt noch nichts online, dafür aber Punkt 2 über Verwaltung, Organisation und inneren Dienst. Unterpunkt 2.1 enthält die Akte B 206/3029 aus dem Jahr 1951, die Gliederung und Aufbau eines künftigen Spionageorgans beschreibt. Es heißt schon Bundesnachrichtendienst, manchmal auch Bundes-Nachrichtendienst. Unterpunkt 2.2 bringt einiges über die Organisation und ebenso Papiere über Lehrgänge und Lehrveranstaltungen (B 206/3024) sowie zur Funkabwehr und Funküberwachung (B 206/3043).

Ein Sprung zur Nummer 3.1 und der Zusammenarbeit mit anderen Behörden öffnet Einblicke in Akten zur Ostforschung (B 206/3018) und in spärliche fünf Seiten zur Aktion Hermes (B 206/3104). Bei dieser wurden aus der Sowjetunion kommende Kriegsgefangene, Spätheimkehrer und andere Flüchtlinge, insgesamt mehr als drei Millionen Menschen, über ihre Erlebnisse und Erkenntnis befragt. Nicht online sind die Fernmeldeverbindungen zu Kanzlerreisen wie die vom Juli 1973, als Willy Brandt mit DDR-Spion Günter Guillaume nach Norwegen fuhr (B 206/2003-2005).

Mitten hinein ins Agentenleben führt Abschnitt 4 zur Beschaffung und Nachrichtengewinnung. Die Online-Dokumente zeigen wieder die Bedeutung der Funktechnik, und wir können die Leser nur bitten, sich durch Abschnitte 4.1 und 4.2.1 zu arbeiten. Akte B 206/3063 aus Unterpunkt 4.1 verrät, wie man Informanten wirbt, B 206/3065 schult Agenten und Betreuer, B 206/3022 berichtet vom Einschleusen antikommunistischer Kämpfer an der polnischen Ostseeküste. 1953 machte der Nachrichtendienst das James-Bond-mäßig mit Schnellboot und Gasballon, der die Agenten zum nächsten Strand trug.

Wo sie in der Regel nicht weit kamen, denn was Pullach nicht wusste: Doppelagent Kim Philby und seine Maulwürfe hatten die Operation längst den Russen verraten. Kurz vor Ende der 4.1-Liste finden wir noch die Akte B 206/3037 mit der "Analysis of Nazi criminal organizations", einen Text der US-Militärverwaltung vom Dezember 1947. So mancher Organisation-Gehlen-Mann wird darin seinen früheren Arbeitsplatz wiedergefunden haben, sofern er sich der Mühe der Lektüre unterzog.

Der umfangreiche Teil 5 zum Thema Auswertung widmet sich im ersten Kapitel 5.1 der Kriegs-, Technik- und allgemeinen Geschichte. Wir treffen den skandalumwitterten Bundeswehrpanzer HS 30 und ebenso Unterlagen der alten Kriegsmarine und Typoskripte des nationalistischen Schriftstellers Edwin Erich Dwinger ("Was muss im Augenblick geschehen, um Stalins System zu stürzen?"). Akte B 206/3055 und 3056 erläutern im Detail chemische Kriegsführung und chemische Kampfstoffe.

Unter den besonderen Ereignissen von Unterpunkt 5.3 – 5.1 und 5.2 überspringen wir – stechen die Unterlagen zur Genfer Außenministerkonferenz 1959 hervor, sprich Akte B 206/3236 und 3291. Gleichfalls online ist Akte B 206/3025: Sie behandelt die Fahrt Lenins durch Deutschland 1917 und die Beseitigung des Sowjetmarschalls Michail Nikolajewitsch Tuchatschewski im Jahr 1937. Gedacht war sie einst für CIA-Chef Allen Dulles. In Unterpunkt 5.4 ("Weltweit/Übersichten") folgen unter anderem die Erkenntnisse fürs Bundeskanzleramt aus den Jahren 1953 bis 1957. Sie verstecken sich auf der zweiten Seite der 5.4-Liste, die man im Menü-Fensterchen direkt über "Archivsignatur" anwählen kann.

Den Höhepunkt der BND-Akten im Bundesarchiv bilden die globalen Rundumschauen der Punkte 5.5 und 5.6. Bei den Ländern wurde auch Richtung Westen spioniert, siehe Unterpunkte 5.6.8 (Frankreich), 5.6.9 (Großbritannien) oder 5.6.36 (USA). Die US-amerikanischen Akten sind allerdings schwer lesbar. Viel Material liegt einen Unterpunkt weiter über Rotchina vor. Unterpunkte 5.6.7 und 5.6.29 führen dann zur Raison d'Être der bundesdeutschen Spionage, in die DDR und die UdSSR.

Im DDR-Kapitel entdeckten wir die blauen Links nur im Unterpunkt 5.6.7.2 über Streitkräfte und Rüstung. Besser sieht es bei den sowjetischen Akten aus, und Paragraph 5.6.29.2 bringt sogar einen Ordner zur Raumfahrt (B 206/3247). Die Erkenntnisse erscheinen aber recht oberflächlich. Paragraph 5.6.29.1 zeigt das Interesse des BND für die sowjetische Ausstrahlung im Westen. Die dicke Akte B 206/3237 behandelt auch die Friedensbewegung, die die Schlapphüte für weiträumig unterwandert hielten, siehe den 27-Seiten-Text "Die kommunistische Aktion 'Kampf dem Atomtod'" (in umgekehrter Reihenfolge gescannt).

Damit endet unsere Reise durch die geheime Welt. Wir empfehlen, die Bundesarchiv-Adresse einfach auf eigene Faust zu erforschen, es lohnt sich. Viele Papiere, die nicht online sind, können natürlich als Hardcopy im Lesesaal des Archivs bestellt und durchgeblättert werden. Wer sich also für die UFO-Akten des BND interessiert – die gibt es wirklich – muss schon nach Koblenz kommen. (mho)