Rollendes und Robotereskes

In seinen Netztagebuch über "Spiel und Kunst mit Mechanik" zeigt Falk Keuten: Die Welt ist weit mehr als nur eine Kugel.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Es ist ein Blog mit kuriosen Maschinen, Kugelbahnen und kinetischer Kunst – und nicht nur irgendein Blog, sondern DAS Blog, wenn man sich für derlei begeistern lässt: das Kugelbahn-Blog von Falk Keuten.

Der erste Blogeintrag vom 3. September 2008 weist auf die Schweizerische Gesellschaft für Mechatronische Kunst. Seither haben sich rund 3000 Postings versammelt, die einen tiefgehenden und stets aktuellen Einblick in das weit gefasste Thema geben. Etwa 200 Besucher verzeichnet das Blog täglich, für manche gehört es zum morgendlichen Frühstücksritual. Eine Künstlerin aus New York möchte es sogar auf der Weltkulturerbeliste sehen. Beheimatet ist das Kugelbahn-Blog auf der Website kugelbahn.ch des Schweizer Kinetikkünstlers Hanns-Martin Wagner.

Keuten hat zunächst mit Kugelbahnen begonnen. Als Techniklehrer hatte er schon sehr früh Projekte zu diesem Thema laufen. Dabei ging es auch um die spielerische Entdeckung und Erfindung von interessanten Ablaufeffekten. In den Neunzigerjahren stieß er auf die florierende Szene der Kugelbahnkünstler in den USA und auf einzelne desgleichen ausgerichtete Künstler in Europa. "Das Interesse an der Mechanik war bei mir aber immer schon vorhanden", sagt Keuten, "vom einfachen Spielzeug bis zur kinetischen Kunst."

Es ist Spielzeug für Erwachsene, zum Teil jedenfalls, zum Beispiel die Automata. Das sind figürliche mechanische Skulpturen, die meist mit Handkurbel angetrieben werden und eine Art kurzes mechanisches Theater ablaufen lassen. Die Wunder der Mechanik in einem digitalen Blog – ist das nicht ein Widerspruch? Das digitale Medium kann alles aus der realen Welt abbilden, auch und gerade mit der Dimension der Bewegung. Falk Keuten sieht da eine Bereicherung.

In den USA heißen diese Parcours, bei denen es kippt und rollt und am Ende passiert etwas ganz Banales, nach dem 1970 verstorbenen Cartoonisten Rube-Goldberg-Maschine. Bei uns hatten sie jahrzehntelang keinen Namen, weil es keine solchen skurrilen Mechanik-Illustratoren gab. Heath Robinson in England und Rube Goldberg in den USA sind seit den Dreißigerjahren populär. Das großartigste Kunstwerk aus diesem Sektor ist übrigens die gefilmte Kettenreaktion Der Lauf der Dinge des Schweizer Duos Fischli/Weiss von 1987.

Das, was Mechanik-Enthusiasten da oft mit ungeheurem Aufwand anfertigen, ist so etwas wie die Befreiung des Uhrmachergeistes aus der Zweckmässigkeit. Man produziert mit einer Maschine Erkenntnis, wenn man die Mechanik offenliegend verfolgen kann und dabei die Prozesse verstehen lernt.

Keutens Lieblingsobjekt ist die Kugelbahn Markrokosmos (alternative Ansicht) von Mark Bischof aus Amsterdam. Sie ist in jeder Hinsicht ein Opus Magnum und war vor ein paar Jahren, nach einem sehr kostspieligen Abbau im Atelier und anschließendem Wiederaufbau, im Technikmuseum phaeno in Wolfsburg auch für die Allgemeinheit zu erleben. Auch in dem preisgekrönten Kurzfilm "Kinetik" von Jan Wouter van Reijen ist die Schönheit des Designs zu sehen, handwerkliche Perfektion mit immer sehr edlem Material, den zauberhaften Bewegungsabläufen und dem Vertikaltransport der Kugeln mit Gewichtsantrieb.

Für diese fingerfertigen Induviduen, die Keuten Automatisten nennt, hat das Internet den Wandel vom Geheimtip zum Mainstream bewirkt. Von den Automata-Künstlern der englischen Szene um das Cabaret Mechanical Theatre in London aus hat sich diese künstlerische und dann auch hobbymässig betriebene Gattung um die ganze Welt verbreitet.

"Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter", schrieb Goethe vor 200 Jahren. Ob seine Befürchtung begründet war, möchte ich von den Blogbetreiber wissen. "Es war ein großer Schritt in der Beschleunigung der technischen Entwicklung. Problematischer sehe ich aber die laufende Revolution im IT-Bereich, die wegen mangelnden Expertenwissens auf politischer Ebene kaum mehr steuerbar ist."

Falk Keuten, der in Bonn lebt, sieht sich mit dem Bloggen über Kugelbahnen "eher als Aggregator, aber auch als Archivar, jedoch ohne jede Zugriffsordnung." Er hat selbst etliche Kugelbahnen und kinetische Objekte entwickelt und gebaut und 1990 ein Buch dazu verfasst. "Freude an Mechanik", sagt Falk Keuten, "hat es doch immer gegeben." (bsc)