"One Digital Day": Die Digitalisierung der Welt vor 20 Jahren

Heute vor 20 Jahren machten 112 Starfotografen im Auftrag von Intel Aufnahmen, die die mit dem Mikroprozessor einhergehende "Digitalisierung" des Lebens verdeutlichen sollten. Seitdem hat sich weniger verändert als man wahrhaben möchte.

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"One Digital Day": Die Digitalisierung der Welt vor 20 Jahren

(Bild: Intel)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers
  • Volker Zota

Heute vor 20 Jahren beschäftigte ein kurioser Auftrag 112 Starfotografen in der ganzen Welt: Sie sollten am 11. Juli 1997 in ihrer jeweiligen Umgebung Bilder davon aufnehmen, wie der Mikroprozessor die Welt verändert hat. Auftraggeber war der damalige Intel-Chef Andy Grove. Er wollte bis zum anstehenden Jubiläum von Intel am 18. Juli 1998 ein opulentes "Coffee-Table-Book" allen Aktionären schenken, das die weltumspannende Bedeutung von "Intel inside" demonstrierte. "One Digital Day – How the Microchip is Changing Our World" ist heute noch ein bemerkenswertes Buch.

Zukunftsweisendes Titelfoto: Solche Szenen gehören heute zum Alltag.

(Bild: Intel)

Rund um den Erdball waren am 11. Juli 1997 bekannte Fotografinnen und Fotografen damit beschäftigt, den Einfluss des Mikroprozessors in ihrer näheren Umgebung abzulichten. Intel wollte zeigen, wie "digital" das Leben erdumspannend geworden ist. Einigen gelangen dabei spektakuläre Aufnahmen. Ikonisch geworden sind etwa die Fotos von Lori Grinker und Cindy Burnham, die einen in Bosnien stationierten US-Soldaten zeigen, der zum ersten Mal per Videokonferenz (mit IntelProShare) seine neugeborene Tochter sieht.

Torin Boyds Foto eines spielsüchtigen Japaners gehörte jahrelang zu den beliebtesten Abbildungen im Zusammenhang mit Computer-(Spiel)sucht. "Wenn Sie in den Seiten blättern, werden sie sehen, wie der Mikroprozessor die Welt in einem Maße verändert hat, das vorher undenkbar war", schrieb der im vergangenen Jahr verstorbene Andy Grove damals im Vorwort.

Eines der berühmtesten Bilder aus "One Digital Day": einmal im Buch und im parallel erschienenen Forbes Magazine

(Bild: Lori Grinker und Cindy Burnham / Intel)

Wer 2017 in den Seiten blättert, ist erst einmal irritiert, wie wenig sich geändert hat: Fernoperationen, virtuelle Realität oder die Durchsuchung von Festplatten durch "Cyberkämpfer" der Polizei von San Jose, all das ist in dem Prachtband dokumentiert. Gut, die Monitore und Handys waren klobig, der GPS-Empfänger steckte in einem Tragetäschlein, die abgedruckten Webseiten waren schlicht gestrickt und Amazon-Chef Jeff Bezos war ein "Jungstar", der in einem noch überschaubaren Warenhaus voller Bücherregale stand. Doch alle Themen von heute waren schon damals präsent, vielleicht mit Ausnahme des 3D-Drucks und den Ängsten vor einem "Cyberwar". Anders gesagt: 1997 war mehr 2017, als wir es wahrhaben wollen.

Dieser Japaner auf diesem Foto aus Intels Buch musste danach jahrelang als Verkörperung von Computer-Spielsucht herhalten.

(Bild: Torin Boyd / Intel)

Natürlich gab es damals auch überzogene Annahmen. Die Iris-Erkennung am Bankomaten, die die PIN-Eingabe in den nächsten Jahren ablöst, gehört dazu. Die Annahme von Tim Berners-Lee, dass jedes Schulkind ab 2000 keinen Tornister braucht, weil das Wissen im Web ist und die Schulen vernetzt, ist auch so ein optimistischer Ausrutscher.

Legt man den Prachtband beiseite und blättert in der Zeitschrift Forbes, die zur Feier von Intels Geburtstag im Juni 1998 eine große Bildstrecke mit Bildern aus dem von Intel finanzierten Band brachte, wechselt die Perspektive. Da ist die lustige Werbung: Neben dem Bild von Web steht eine ZIP-Diskette von Iomega mit dem Claim "Wir speichern für die Ewigkeit". Die Titelgeschichte von Forbes beschäftigt sich mit dem 1998 laufenden Antitrust-Prozess gegen Microsoft und fragt im Text: "Ist dies Bill Gates' letzter Kampf?" Offenbar ist 1997 doch verdammt lang her. (vza)