Die Russen kommen

Der kalte Krieg feiert im Internet eine fröhliche Neuauflage.

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Die Lage ist ernst. Zumindest sieht es so aus. Sucht man im Netz derzeit nach Stichworten wie "Russia" und "Cyberwar" kann einem Angst und Bange werden. Wired zum Beispiel brachte das Thema jüngst sogar auf den Titel: "Wie ein ganzes Land zum Testlabor für den russischen Cyberkrieg wurde", überschrieb das Zentralorgan der Silicon-Valley-Hipster seine düstere Geschichte. Tenor: In der Ukraine testen die Russen ihre Cyberwaffen. Vergangenes Jahr im Dezember haben sie bei einem Angriff auf die Stromversorgung gezeigt, was sie können, und niemand weiß, was als nächstes kommt.

Das ist schlimm, aber die Situation ist noch viel bedrohlicher, als Sie jetzt vielleicht glauben. Denn der Russe rüstet nicht nur zum globalen Cyberkrieg. Er untergräbt auch unermüdlich alle westlichen Gesellschaften - mit den Mitteln der Informationskriegsführung. Natürlich auch in der Ukraine, in den baltischen Staaten, aber auch in Frankreich, den USA, in Deutschland - you name it.

Denn gelernt ist gelernt. Schon zu Zeiten der untergegangenen UdSSR beherrschten die russischen Geheimdienste die Instrumente der psychologischen Kriegsführung meisterhaft. Vor allem aber hatten sie die Theorie der reflexiven Kontrolle entwickelt - ein ausgeklügelter Mechanismus psychologischer Manipulation, der den Gegner dazu bringen sollt, sich unbewusst selber zu schaden, indem er reflexartig auf äußere Umstände reagiert - die natürlich geschickt manipuliert werden müssen.

Der Autor und Russland-Experte Peter Pomerantsevhat die Methode in einem Artikel im Guardian beschrieben: Zur Zeit des kalten Krieges sei es bei Militärparaden der Sowjets beispielsweise üblich gewesen, Attrappen von Interkontinentalraketen aufmarschieren zu lassen, die mit absurd großen Sprengköpfen bewaffnet waren. Die Amerikaner, die diese Paraden sorgfältig analysierten, sollten so verleitet werden, Zeit und Geld in die Entwicklung von Sprengköpfen zu stecken, die technisch eigentlich gar nicht zu realisieren waren.

Nun ist der kalte Krieg zwar schon eine Weile vorbei, aber eine Menge Leute sind davon überzeugt, dass die alten Konfrontationen noch immer weiterlaufen. Die Sicherheitsberaterin Laura Galante zum Beispiel ist fest davon überzeugt, dass Russland zum Beispiel mit Hacking-Angriffen auf die US-Wahlen Chaos verursachen und das gesamte westliche Modell diskreditieren will. Auch der Politologe Thomas Rid vom University College London, der sich als

Sicherheitsexperte besonders mit Themen wie Cyberwar beschäftigt, ist offenbar dieser Meinung: In einer Anhörung vor dem US-Senat Ende März erklärte Rid den anwesenden Senatoren, dass die Russen gerne indirekt vorgehen, und "unwissende Agenten" für sich arbeiten lassen - im Deutschen würde man das wahrscheinlich nützliche Idioten nennen. Im Fall des US-Wahlkampfes waren diese nützlichen Idioten "übereifrige Journalisten, Wikileaks und Twitter".

An dieser Stelle wird es meiner Meinung nach Zeit, misstrauisch zu werden. Wenn Sicherheitsexperten, die ihre Quellen in der Regel nicht offen legen, mit ihren Aussagen suggerieren, dass investigativer Journalismus nur dem Feind nützt, werde ich stutzig. Wenn die selben Experten mir erzählen, dass "Kritik am westlichen System" nur destabilisierend wirken soll, werde ich hellhörig. Wer steuert hier wen und warum? (wst)