European Extremely Large Telescope: Glaskeramik für Rekordteleskop kommt aus Mainz

In einem Schmelzofen mit mehr als 1500 Grad beginnt der lange Weg zu einem Wunderwerk der Präzisionsoptik: Die Schott AG bereitet die Produktion weiterer Spiegelträger vor. In Chile soll mit ihrer Hilfe ein neuer Blick ins Universum geöffnet werden.

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Glaskeramik für weltgrößtes Spiegelteleskop kommt aus Mainz

(Bild: ESO)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter Zschunke
  • dpa
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Schwer liegt die riesige Glaskeramikplatte in der neuen Maschine im Mainzer Stammwerk der Schott AG und wartet auf den Schliff einer konkaven Oberfläche. Hier werden bald auch Spiegelträger für das größte Teleskop der Welt geschliffen, das ab 2024 von Chile aus einen bisher nie da gewesenen Blick ins All öffnen soll. "Die Anlagen sind bereit, voraussichtlich im Januar beginnen wir mit der Produktion von 18 Teilen einer Vorserie", erklärt Schott-Produktmanager Thomas Westerhoff bei einem Gang durch die Werkshallen.

Während der auf zwei Jahre angelegten Produktion der Vorserie wird der Spezialglashersteller Schott zusammen mit dem Auftraggeber, der Europäischen Südsternwarte (ESO), alle Vorgaben für die Serienfertigung festlegen, die 2020 beginnen soll. Dann werden in Mainz 949 runde Spiegelträger mit einem Durchmesser von 1,52 Metern produziert, fünf Zentimeter dick. Aus diesen werden dann 798 sechseckige Segmente gefertigt, aus denen wiederum der Hauptspiegel (Mirror 1 oder kurz M1) mit einem Durchmesser von 39 Metern zusammengesetzt wird.

E-ELT: Guss des Sekundärspiegels (9 Bilder)

Der noch heiße Rohling wird für den Transport vorbereitet.
(Bild: SCHOTT/ESO)


Das ist viel zu groß, um in einem Stück gegossen zu werden – anders als der 4,25 Meter große Sekundärspiegel M2, der das Licht des Hauptspiegels aufnimmt, bündelt und zu einem dritten Spiegel (M3) weiterleitet. Bis Astronomen erste Bilder ferner Planeten zu Gesicht bekommen, wird das Licht noch zu zwei weiteren Spiegeln geleitet, die störende Einflüsse wie die Unruhe der Atmosphäre oder das Schwanken des Teleskop-Gebäudes bei starkem Wind ausgleichen. Dabei wird die Technik der adaptiven Optik eingesetzt, bei denen speziell dafür vorgesehene Spiegel schnell bewegt oder in ihrer Oberfläche verformt werden, um in Echtzeit Störungen auszugleichen. "Ohne M4 und M5 gäbe es keine scharfen Bilder", erklärt Westerhoff.

Im Mainzer Schott-Werk wird das Material für die Spiegelträger gefertigt, die als Zerodur bezeichnete und in einem besonderen Verfahren gefertigte Glaskeramik. Lithiumoxid, Aluminiumoxid und Siliziumoxid sind die drei Hauptbestandteile, die dafür in eine Schmelzwanne gekippt und auf über 1500 Grad erhitzt werden. Die Masse wird in eine Form gegossen und dann langsam abgekühlt, damit keine Spannungen in dem Material entstehen. Im nächsten Schritt folgt die Keramisierung: Der Glasblock wird erneut erhitzt, bis auf über 700 Grad. Dabei wachsen winzige Kristalle im Glas.

Wenn diese Nano-Kristalle die optimale Anzahl und eine Größe von 50 bis 70 Nanometern erreicht haben, wird das Material wieder langsam abgekühlt. Das Ergebnis ist nach einer Produktionszeit von mehreren Monaten ein bernsteinfarben, leicht opakes, aber dennoch transparentes Material aus 30 Prozent Glas und 70 Prozent Kristallen. Entscheidend aber sind die thermischen Eigenschaften: Das Glas dehnt sich bei Erwärmung aus, die Kristalle schrumpfen. In der Glaskeramik gleicht sich beides aus, so dass die thermische Ausdehnung auf nahezu Null reduziert wird.

Diese Eigenschaft ist von zentraler Bedeutung für das Extremely Large Telescope (ELT), das in der Atacama-Wüste in Nordchile errichtet und 2024 in Betrieb gehen soll. Die Astronomen wollen das Teleskop die ganze Nacht über nutzen. Die dann üblichen Temperaturschwankungen würden Spiegel aus Glas thermisch beeinflussen und zu verzerrten Bildern führen. Hier soll Zerodur eine über Stunden hinweg stabile Optik liefern.

Das European Extremely Large Telescope (21 Bilder)

So soll das Riesenteleskop ab 2024 aussehen.
(Bild: ESO/L. Calçada/ACe Consortium)

Es habe auch Alternativen zu diesem Material gegeben, erklärt der Leiter der optomechanischen Abteilung bei ESO, Marc Cayrel. Aber nach gründlicher Sichtung aller international verfügbaren Möglichkeiten habe sich ESO für Zerodur entschieden – wegen der äußerst geringen thermischen Ausdehnung und der guten Polierfähigkeit. "Die in Mainz gefertigten Spiegelträger werden das Herz des ELT bilden."

Nach Produktion und Schliff gehen die Spiegelträger aus Mainz nach Westfrankreich: Bei der Firma Safran-Reosc erhalten sie in St. Benoît bei Poitiers ihre endgültige sechseckige Form und ihre Politur. Zuletzt muss noch die eigentliche Spiegelschicht aus Aluminium oder Silber aufgedampft werden – auf der Oberseite und nicht wie beim Badezimmerspiegel, bei dem die reflektierende Schicht unter dem Glas liegt.

Um die Kapazität für die Zerodur-Produktion in Mainz zu erweitern, wird dort voraussichtlich ab November eine zweite Schmelzwanne in Betrieb genommen. Auf dem Weg über das Betriebsgelände schaut Westerhoff auf die 65 Meter hohen Schornsteine der Schmelzwannen und stellt sich das geplante Teleskop in Chile vor – das ist dann noch einmal 20 Meter höher. "Ich will das auch vor Ort anschauen, spätestens wenn das Teleskop dann steht."

Mit seinem gewaltigen Durchmesser von 39 Metern wird das Teleskop laut ESO so viele Lichtsignale aus dem Universum sammeln können wie kein anderes – auch verglichen mit den zurzeit geplanten Konkurrenzprojekten GMT (Giant Magellan Telescope) und TMT (Thirty Meter Telescope), für die Schott ebenfalls Spiegelträger baut. Das Forschungsinteresse richtet sich besonders auf Exoplaneten, vielleicht erdähnliche Planeten außerhalb des Sonnensystems. Erhofft werden auch neue Erkenntnisse zum Ursprung des Universums. Und die ESO ist überzeugt: So wie Galileo Galilei mit seinem Fernrohr vor 400 Jahren die vier größten Monde des Jupiter entdeckt habe, "so sind die aufregendsten Entdeckungen wahrscheinlich diejenigen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können". (mho)