Evolution jenseits von Darwin

Das Forschungsfeld Epigenetik ist jung, die Debatte alt: Vererben Lebewesen ihren Nachkommen mehr als nur Gene? Zwei aktuelle Publikationen gehen der Frage nach.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Mit der Evolutionstheorie von Jean-Baptiste Lamarck aus dem frühen 19. Jahrhundert möchte heute kein ernst zu nehmender Biologe mehr in Verbindung gebracht werden. Erworbene Merkmale werden nicht so vererbt, wie Lamarck es damals am Beispiel der Giraffen und ihren langen Hälsen behauptet hat. Trotzdem bezweifelt inzwischen kaum jemand, dass im Rahmen der Epigenetik mehr weitergegeben wird als nur die Gene. Einige Wissenschaftler halten das Forschungsfeld sogar für ein zentrales Thema des 21. Jahrhunderts.

Dazu zählen auch Eva Jablonka und Marion Lamb, deren grundlegendes Werk "Evolution in vier Dimensionen" nun auf Deutsch vorliegt. Darin erläutern die Autorinnen, wie die vier Bereiche Genetik, Epigenetik, Kultur und die Welt der Symbole allesamt die Evolution prägen. Methylgruppen, die einzelne Gene aktivieren oder stilllegen, werden zum Teil über Generationen weitergegeben. Mögen die biologisch geprägten Argumente leicht einleuchten, werden Anhänger der reinen Lehre Darwins wohl am Ende vor dem sehr weit gefassten Vererbungsbegriff der Autorinnen zurückschrecken.

Denn sie subsumieren auch die Vererbung von kulturellen und symbolischen Inhalten unter Evolution, die in ihren Augen obendrein sehr viel zielgerichteter erfolgt, als von vielen angenommen.

Obwohl sich Peter Spork dieser weitgreifenden These von Jablonka und Lamb verschließt, fasziniert auch ihn das Phänomen Epigenetik. In seinem auf ein breites Publikum zielenden Buch "Gesundheit ist kein Zufall" versucht der Wissenschaftsjournalist, die Brücke zu schlagen zwischen komplexen epigenetischen Prozessen und modernen Zivilisationskrankheiten. In der Quintessenz laufen Sporks Ratschläge zwar auf das altbewährte Rezept "viel Bewegung, ausgewogene Ernährung, erholsamer Schlaf" hinaus.

Seine Argumentation veranschaulicht er allerdings mit aufschlussreichen Berichten über die Stimulierung von Erbanlagen durch Umwelteinflüsse. So erwähnt der Verfasser eines regelmäßigen Epigenetik-Newsletters verblüffende historische Begebenheiten: Der Hungerwinter 1944/45 etwa führte in den Niederlanden zu sehr kleinen Neugeborenen, aber auch deren eigener Nachwuchs war später besonders klein. Traumata hinterlassen ebenso Spuren in der Stressregulation der Nachkommen, wie Spork am Beispiel von Holocaust-Überlebenden zeigt.

Das zentrale Thema aber bleibt für den Buchautor die Gesundheit. Diese definiert Peter Spork nicht einfach als Abwesenheit von Krankheit, sondern als einen dynamischen Prozess, den es mit allen Mitteln immer wieder aktiv anzustoßen gilt. Dem ist am Ende nichts mehr hinzuzufügen. Aber über das Phänomen der Epigenetik ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Eva Jablonka, Marion J. Lamb: Evolution in vier Dimensionen – Wie Genetik, Epigenetik, Verhalten und Symbole die Geschichte des Lebens prägen. Hirzel Verlag, 566 Seiten, 42 Euro

Peter Spork: Gesundheit ist kein Zufall – Wie das Leben unsere Gene prägt. Die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik. DVA Verlag, 416 Seiten, 22,99 Euro (E-Book 18,99 Euro)

(bsc)