Vor der Bundestagswahl wird in Sachen Diesel gar nichts entschieden

Klartext: Wahlrecht

In Deutschland wollen sowohl Politiker als auch die Autohersteller aus leicht unterschiedlichen Gründen die Stickoxid-Belastung bestehender Autos verringern. Das könnte Ausschlag geben zur Bundestagswahl, tut es aber nicht

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Von
  • Clemens Gleich

Gerade gebe ich für die Technology Review einen Artikel über eine Nachrüstlösung ab, mit der die Firma Twintec aus der Baumot-Gruppe die Gelegenheit sieht, ein ökonomisch erfolgreiches Produkt anzubieten. Wie bei ihrer Abgasreinigung für Nutzfahrzeuge wird ein SCR-Kat mit Ammoniak-Sperrkatalysator und eigenem Regelkreis in das Abgassystem eines Serienautos gepflanzt. Elektronik und Tank finden Platz in der Reserveradmulde. Sowohl der ADAC als auch die Zeitschrift Auto Motor und Sport haben den von Twintec umgerüsteten VW Passat (B7) bereits vermessen lassen. Die Ergebnisse sind gut.

Bei gleichmäßiger Autobahnfahrt mit 130 km/h erreicht die "BNOx" genannte Lösung um bis zu 99 Prozent verringerte Stickoxid-Emissionen im Vergleich zum nicht umgerüsteten Passat. Wohlgemerkt: Bei Testfahrten im öffentlichen Verkehr, nicht auf dem Prüfstand. Fast so gut funktionierten gemischte Testfahrten, bei denen BNOx die Emissionen meistens auf unter 50 mg/km reduzierte. Der Grenzwert für Euro 6 liegt bei 80 mg/km. Lediglich beim Kaltstart überschreitet die SCR-Anlage die Werte. Hier will der Hersteller noch nachbessern. Statt der üblichen Düse, die Adblue ins heiße Abgas einspritzt, um Ammoniakdampf zu erzeugen, verdampft Twintec Adblue in einem Heizelement und dosiert gleich Dampf hinzu. Erst bei ausreichend heißem Abgas löst dessen Wärme das Heizelement ab. Mit Modifikationen an Verdampfer oder Heizelement sollte sich also ein noch kälteres Funktionieren vergleichsweise einfach herstellen lassen.

Einigkeit ohne Einigkeit

In Bayern haben sich Politik und ansässige Autohersteller einig gezeigt: Fahrverbote sollen verhindert werden. Man kann sich plötzlich alles Mögliche vorstellen. Software-Updates für Euro-5-Diesel beispielsweise. VWs Update hat im vom ADAC gemessenen Golf 2.0 TDI Bluemotion im realen Fahrbetrieb Verbesserungen zwischen 50 und 60 Prozent gebracht, obwohl der Wagen weder einen Speicherkat noch eine SCR-Anlage mitbringt. Audi und BMW haben daher in Bayern zu Protokoll gegeben, dass sich bei etwa der Hälfte der Euro-5-Motoren im Kundenbetrieb signifikante Verbesserungen erreichen ließen durch andere Software-Steuerungen der bestehenden Hardware. Wie sich anders verwendete Abgasrückführungen langfristig auswirken, ist dabei offen. Die Dinger versotten ja schon jetzt gern mal. VWs Update kann immerhin als Indiz herhalten, dass in Kundenhand wahrscheinlich noch einiges Abgas-Verbesserungspotenzial herumfährt. Zusätzlich zeigten sich Autoherstellersprecher nicht abgeneigt, Nachrüstsysteme mitzufinanzieren.

Das hört sich alles vielversprechend an, findet aber in einem politisch leeren Raum statt. Es gibt noch keine Mechanismen, nachgerüstete Fahrzeuge von Fahrverboten auszuschließen. Es gibt die Blaue Plakette noch nicht, mit der Gemeinden Zonen ausweisen können, in die Dieselautos nur noch mit Euro-6-Zulassung einfahren dürfen, selbst wenn sie real mehr herumstickoxidieren sollten als ein real guter Euro-5-Diesel. Es gibt noch keine Bewertungen der Nachrüstlösungen, weder politisch noch messtechnisch. Es gibt nämlich noch nicht einmal diese Lösungen, sieht man von VW unter Zwang und Machensbekundungen bayrischer Automanager ab.

Freierwahl im Herbst

In der Autopresse schreiben alle, die deutsche Verkehrspolitik kennen, das Gleiche: Vor der Bundestagswahl im Herbst passiert auf diesem Entscheidungsfeld gar nichts. Parteien können sich hier mit egal welcher Position nur unbeliebt machen. Städter wollen weniger Stickoxide einatmen. Pendler wollen ihre noch recht neuen, legalen, nach Euro 5 sauber zugelassenen Autos weiter benutzen können. Die Autohersteller wollen weiterhin Autos verkaufen, wozu ein Mindestmaß an Kundenvertrauen gehört, sowie natürlich eine gewisse politische Stabilität. Die Städte wollen außer bessere Luft auch weniger Strafzahlungen für schlechte Luft.

Wer in diesem Interessensverhau jetzt mit egal welcher Position vorstürmt, weiß nur eines: Ganz sicher wird er sehr viele Wähler verärgern. Ob er auf der anderen Seite netto mehr Wähler erfreut, weiß er nicht. Also lieber gar nichts tun. Angela Merkel bewies immer wieder: Wer nichts macht, macht schonmal nichts falsch. Machen kann man immer noch, wenn man unbedingt muss. Wäre man in naiver Weise optimistisch, könnte man sagen: Der mündige Bürger kann an dieser Stelle einen echten Unterschied wählen. So passiert es aber nur in Märchen über Demokratien. In der echten Republik wird der Wähler schließlich wie jedes Mal feststellen, dass er nur wählen konnte, von wem er letztendlich Unvermeidliches aufgezwungen bekommt. Das Wie und Wann und Wieso diktieren die stets alternativlosen Umstände. (cgl)