Anzug vom Acker

Der Anbau von Baumwolle hat bedenkliche ökologische Folgen. Geht es nach Forschern und Firmen aus der Textilbranche, werden wir uns künftig in Stoffen aus Brennnesseln, Algen, Krabben, Holz und Milch kleiden. Die Frage ist nur: Kann man sie auch tragen?

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Susanne Donner

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 20.7.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Anderthalb Tonnen Altkleider häufen die Bundesbürger im Laufe eines durchschnittlichen Lebens an. Für die Umwelt ist das eine Katastrophe. Denn ein T-Shirt enthält ohne Weiteres Hunderte unterschiedlicher Chemikalien. Das tragen wir nicht nur auf der Haut, sondern das landet auch im Abwasser und in den Meeren. „Textilien sollten von der Wiege bis zur Bahre zu hundert Prozent recycelbar oder vollständig in der Umwelt abbaubar sein“, formuliert der Chemiker und mehrfach ausgezeichnete Ökovordenker Michael Braungart von der Erasmus-Universität Rotterdam das Ziel.

Dazu kommt, dass die Baumwolle einen desaströsen ökologischen Fußabdruck hat und in ihrer Qualität immer schlechter wird. Sie wächst überwiegend in trockenen Gebieten, die Landwirte künstlich bewässern. 8000 Liter des kostbaren Nass benötigt eine einzige Jeans. Und weil sich auch ein Dutzend unterschiedlicher Schädlinge an der Pflanze zu schaffen machen, bringt sie ihre hohen Erträge nur mit mehreren Pestiziden. Dennoch steigt die Nachfrage weltweit, sodass der Rohstoff immer teurer wird. Die Suche nach Alternativen drängt also. Deshalb experimentieren Unternehmer und Forscher derzeit mit neuen Stoffen: T-Shirts aus Algen, Krabben und Holz, Nachthemden aus Milch und Hosen aus Brennnesseln.

Josephine Barbe blickt für Alternativen Richtung Meer. Die Expertin für nachhaltigen Konsum von der Technischen Universität Berlin präsentierte mit ihren Studenten kürzlich auf einer Modenschau in Berlin Hoodies, T-Shirts und Hosen aus Algen. „Diese Kleidungsstücke sind kompostierbar und tragen sich wunderbar auf der Haut, weil Algen viele Mineralien enthalten und Juckreiz lindern“, sagt die Professorin. Der Stoff namens SeaCell stammt von der Firma smartfiber aus Rudolstadt. Hersteller von Funktionstextilien wie das deutsche Unternehmen Falke und die finnische Marke Vuori Clothing fertigen daraus Sport- und Oberbekleidung.

„Der Algenanteil im Stoff beträgt aber nur vier Prozent“, bedauert Barbe. Der Rest sind Fasern aus Holz. Dieses Manko und ein Kuba-Aufenthalt brachten sie auf die Idee, einen Stoff ganz aus Wasserpflanzen zu entwickeln. Denn an den Stränden des Inselstaates stapeln sich angeschwemmte Algen oft meterhoch. Die Anwohner wissen nicht, wohin damit. Gemeinsam mit Chemikern der Universität Havanna will Barbe die Müllberge nun in T-Shirts für die Insulaner umwandeln – zumal der Baumwollanbau die Umwelt auf Kuba sehr belaste und die Ackerflächen zum Anbau von Obst und Gemüse blockiere.

Auch die Hohenstein Institute in Bönnigheim forschen an Textilien aus Algen. Aus der Bausubstanz der Zellwände, dem Alginat, ließen sich hochwertige Fasern erzeugen, die besonders steril, hautverträglich und feuchtigkeitsregulierend sind. 2016 konnten die Forscher Wundauflagen aus dem Stoff präsentieren. Allerdings ernten sie nun nicht mehr im Meer, sondern veränderten das Bodenbakterium Azotobacter vinelandii biotechnologisch, sodass es ausreichend Alginat bildet. Ein Problem sei, dass die Meeresgewächse in ihrer Qualität und Zusammensetzung stark schwankten, berichtet der Experte Dirk Höfer vom Hohenstein Institut für Textilinnovation.

(jle)