Ist es besser, an seinem Auto rein gar nichts zu warten?

Klartext: Das wartungsfreie Auto

Es gibt Leute, die kokettieren gern damit, dass sie rein gar nichts an ihrem Auto machen. Das wäre egaler, wenn das nicht dieselben wären, die dann greinend mit ihren vollkommen unerwarteten Problemen anrennen

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 131 Kommentare lesen
Klartext 7 Bilder
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Clemens Gleich

„Ich mache an meinem Auto seit Jahren gar nichts außer Benzin einfüllen“, sagt sie stolz, um noch stolzer hinzuzufügen: „Da ist bisher noch nichts kaputtgegangen.“ Es gibt viele solche wartungsfreie Autos, ja: Mit zunehmender Zuverlässigkeit kann es überhaupt erst die heutigen Mengen davon geben. Das wichtige Wort in der Lebensentwurfbeschreibung der Dame lautet jedoch „bisher“. Wer nicht wartet, weiß nicht, was er alles nicht weiß, und wir wissen, dass diese Form von Nichtwissen die größten Crashes überhaupt produziert. Remember 2008.

Das Thema Wartung liegt mir stets nah am Herzen. Das wird vielen Autofreunden hier ähnlich gehen. Ich möchte aber mit diesem Text mehr als gegenseitige Bestätigung unserer Gewohnheiten. Ich möchte Bekehrung hinaustragen zu denen, die nicht warten wollen. Das klingt im ersten Lesedurchgang selbstlos, bis einem einfällt, wer die nächsten Leidtragenden sind, wenn die Nichtwarter ihre unausweichlichen Probleme bekommen: „DU kennst dich doch mit Autos aus …“ Die Nichtwartung funktioniert nämlich leider nicht einmal für ihre harten Verfechter.

Murphy, der Kredithai

Das Problem mit der Nichtwartung ist wie eben angerissen eines der perfiden Wahrscheinlichkeiten. Natürlich wird das alles die meiste Zeit gutgehen. Das weiß jeder Gebrauchtkäufer alter Eimer. Mit dem Service-Heft pflegt nur der erste Besitzer, und meistens nur in fünfstellige Laufleistungen. Der Rattenschwanz des Restes schreibt „Scheckheft-gepflegt“, weil irgendwann einmal irgendjemand das Heftlein führte. Diese Autos laufen lange problemlos. Nur: Du weißt dann eben nicht, was wahrscheinlich als nächstes passieren wird, sodass dich jeder Defekt wie eine biblische Strafe Gottes trifft. „Ich habe nur Pech!“, klagen die Nichtwarter dann, wenn „plötzlich“ die Batterie aufgibt, kaum dass sie fünfzehn Jahre Dienst tat. „Gott hasst mich!“, sagen sie, wenn nach 200.000 Kilometern die Automatik gar nicht mehr schaltet. Gott hasst dich nicht. Gott bist du einfach egal, wenn du seine Gebote nicht einhältst, die in PDF gemeißelt verlangen: „Tauschen Sie bei 100.000 km das Automatikgetriebeöl.“

Das Geld, das mit der Nichtwartung gespart werden soll, ist also nur ein kurzfristiger Kredit beim Kredithai namens Murphy. Einige Nichtwarter ahnen diese Gesetzmäßigkeit. Das sind jene, die Autos immer in etwa an ihren Wartungsintervallen verkaufen. „Zahnriemen? Zu teuer. Soll der Nächste machen.“ Nach einem geglückten Weiterverkauf der heißen Kartoffel brauchen sie jedoch immer noch ein Auto. Sie kaufen eines, das genausowenig gewartet wurde. Die erhoffte Ersparnis existiert also mehrheitlich nur virtuell, solange der Verkäufer nicht auf ein (gewartetes) Fahrrad umsteigt.

Es geht an die Substanz

Der andere Aspekt der Wartung betrifft das, was der Automensch „Substanz“ nennt. Er abstrahiert damit eine Einschätzung, wie viel Fahrleben noch in der jeweiligen Maschine steckt. Ein Auto mit nur einem gerissenen Keilriemen zum Klimaanlagenkompressor hat viel Substanz. Ein Auto mit durchgerostetem Chassis weniger. Diese Substanz bestimmt mit zunehmendem Alter des Fahrzeugs den Preis irgendwann so stark, dass sie andere Faktoren fast zur Irrelevanz verblassen lässt. Es interessiert heute nicht mehr, dass ein Neukunde zum Jahrtausendwechsel 5000 DM für ein Autoradio ausgegeben hat, das sowieso getauscht werden wird, weil es keine digitale Musik spielt, die nicht von silbernen Polycarbonatscheiben stammt, die heute weitestgehend ausgestorben sind. Es interessiert jedoch sehr wohl, wie Motor und Getriebe in Schuss sind.

Konsequent nicht warten heißt: Das Fahrzeug wird letztendlich auf Verschleiß gefahren. Oder auch: auf Substanz. Sie schwindet entsprechend. Mit ihrem Schwund verringert sich der real erzielte Verkaufswert des Fahrzeugs. Man könnte sagen: Wartung ist billiger. Da kommt dann aber wieder der Anekdotenleser mit seiner erfolgreich verkauften Gurke, seinem erfolgreich gekauften Top-Auto. Sagen wir also: Nichtwartung ist – alles in allem – nicht billiger. Du kannst dir also zum bestenfalls gleichen Preis aussuchen, ob du ein Auto mit einer höheren, dir völlig unbekannten Ausfallwahrscheinlichkeit und einem entsprechend ranzigen Aussehen fährst oder eines, bei dem du mit guten Wahrscheinlichkeiten vorher siehst, was als nächstes gemacht werden sollte, damit du mit einer wesentlich höheren Zuverlässigkeit ein wesentlich schöneres Auto fährst. Einziger Nachteil: Du kannst in deinem schöneren Auto nicht mehr mit Nichtwartungsgeschichten kokettieren. Geheimnisverrat: Die lassen dich ohnehin weniger schlau aussehen, als du glaubst. (cgl)