Clubkultur 4.0: Elektronische Tanzlokale zwischen gläsernen Kunden, Online-Booking und handgemaltem Flyer

Die Digitalisierung macht auch vor der Clubszene nicht halt. Ohne spezielle Booking-Plattformen, Messenger, soziale Medien, Chipkarten, Datenanalysen oder gar Chatbots läuft oft nichts mehr in der Disco. Doch es gibt auch Gegenbewegungen.

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Clubkultur 4.0: Elektronische Tanzlokale zwischen gläsernen Kunden, Online-Booking und handgemaltem Flyer

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Lesezeit: 11 Min.
Inhaltsverzeichnis

"Die meisten Clubs müssen Online-Medien nutzen", weiß Jens Schwan, Macher der Szeneseite The Clubmap und Organisator des Berliner "Zugs der Liebe". Da gebe es ja auch einige Möglichkeiten, meint der Mittvierziger, der im "richtigen Leben" Online-Redakteur bei einer Autovermietung ist. "Zielgruppen targeten ist klasse, aber man muss die Werkzeuge richtig einsetzen". Wer seine potenziellen Besucher nur eingrenze auf Bands und Musikstile, verpasse damit viele Ansprachemöglichkeiten. Eher den Kopf schüttelt der Ex-Punk auch über "manche Großen" aus der Club-Branche, die für die Werbung "auf Chatbots ausweichen".

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Schwan sitzt mit Basecap und Dreitagebart auf einem Panel zum Thema "Clubkultur 4.0" bei einer Konferenz des Hybrid Music Lab auf dem Gelände des neuen Erwachsenenspielplatzes Holzmarkt 25 (vormals: Bar 25) der Hauptstadt, als er die Lanze für ein sachgerechtes Online-Marketing von Tanztempeln mit elektronischer Musik bricht. Dabei spreche auch nichts dagegen, sich eine eigene Community im Netz aufzubauen, die sich Snapchat und Instagram verweigere. Trotzdem mache es Sinn zu messen, "wer den Newsletter öffnet", und beim Aussenden mit unterschiedlichen Betreffs zu experimentieren.

"Was ist Clubkultur 4.0 eigentlich?", will Jacob Bilabel mitten in der Diskussion wissen. Er steckt eigentlich mittendrin in der Schnittstelle zwischen Informationstechnologie und Musik, hat mit der Green Music Initiative eine Plattform ins Leben gerufen, die eine "klimaverträgliche Musik- und Entertainmentbranche" fördern will, und mischt beim europaweiten Dachprojekt EE Music für eine "energieeffiziente und nachhaltige" Eventproduktion mit. Doch mit dem Begriff kann Bilabel nichts anfangen, hält den Status der Pole Technik- und Musikindustrie generell am besten mit der Angabe umschrieben: "Es ist kompliziert."

Lutz Leichsenring, Sprecher der Clubcommission Berlin, bemüht sich um eine Erläuterung und verweist auf die sprachliche Nähe zu Industrie 4.0 und die Tatsache, dass in Clubs verstärkt "gängige Tools und Plattformen" zum Einsatz kommen. "Vieles davon ist freie Software", weiß der Insider, sodass die Werkzeuge frei genutzt und an die eigenen Zwecke recht einfach angepasst werden könnten.

Im Rahmen der Clubcommission hat Leichsenring selbst zwei Datenportale mit auf die Beine gestellt: Clubkataster ist ein Verzeichnis für Unterhaltungsstätten mit dem Schwerpunkt elektronische Musik von der gängigen Disco bis hin zu Open-Air-Arenen. Mit Creative Footprint soll zudem sich analog zum "CO2-Fußabdruck" die Lebendigkeit des kulturellen Lebens von Städten messen lassen. Für Berlin sind dort momentan rund 500 Veranstaltungsorte aus der Clubszene eingetragen, die monatlich mindestens ein öffentlich zugängliches Event durchführen. Ziel ist es zugleich, Mittel gegen kommerziellen Druck vor allem aus der Immobilienbranche und die zunehmende "kulturelle Gentrifizierung" zu finden.