Post aus Japan: Den Menschen in Robotik stecken

Nippon gilt als verspieltes Automatenreich. Dabei stellen die Entwickler bei aller Liebe für humanoide Roboter aber auch den Nutzen der Technik für die Lebensqualität des Menschen in den Mittelpunkt.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Kotaro Oba hat einen einzigartigen Job. Er arbeitet im ersten Zentrum zur Sicherheitsanalyse von Robotern beim japanischen AIST (National Institute of Advanced Industrial Science and Technology). Dort in der Wissenschaftsstadt Tsukaba werden die Risiken und Sicherheit von Partnerrobotern nicht abstrakt untersucht, sondern anhand realer Produkte. Denn in Japan kommen besonders in der Alten- und Krankenpflege und der Rehabilitation immer mehr Roboter auf den Markt, erklärt Oba auf einem Roboter-Workshop des Deutschen Instituts für Japan-Studien (DIJ) in Tokio, warum es bereits ein solches Prüfinstitut in Japan gibt. Derzeit gebe es bereits mehr als ein Dutzend Roboter, die nach ISO 13482 für Partnerroboter zertifiziert wurden.

Noch sind die Wesen recht einfach, das Verhältnis zwischen technischen Risiken und Nutzwert quasi auf einer Ebene mit Fahrstühlen, sagt Oba. Doch schon jetzt wird ihm klar, dass mit der Robotik neben technischer Innovation eine Frage in der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und Maschinenwesen wichtig wird: Warum haben oder brauchen wir eigentlich einen bestimmten Roboter? Oder wie Oba sagt: "Das Warum ist wichtiger als das Was und Wie."

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Damit macht er etwas, das in Japans Technikentwicklung zum guten Ton gehört: Ihm geht es nicht um technische Entwicklung um der Technik, der Weltbeherrschung oder des Gewinnstrebens Willen, sondern um die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen. Dies zeigt schon das Motto, dass die Japaner für ihren Welt-Robotergipfel im Jahr 2020 gewählt haben: "Robotics for Happiness".

In der amtlich geförderten Robotik heißt dies in Japan in der jetzigen Phase vor allem, Roboter fürs Gesundheits- und Pflegewesen zu entwickeln, um a) den Menschen länger ein selbstständiges Leben zu ermöglichen und b) den wachsenden Arbeitskräftemangel in Pflegeberufen zu mindern.

Der Prozess verläuft allerdings quälend langsam. Denn bei der neuen Technik reicht es nicht aus, die Maschinen zu entwickeln. "Wir müssen auch die Dienstleistungen und die sozialen Systeme designen", sagt Oba. Manchmal benötige der Einsatz von Robotern einen neuen Arbeits- oder Lebensstil.

Außerdem geht es um die gesellschaftliche Akzeptanz. Und um die herzustellen, setzt Oba wieder darauf, die betroffenen Menschen in den Mittelpunkt der Entwicklung zu stellen. Denn bei der Einführung neuer Technik in Krankenhäusern und Seniorenheimen stoßen die Roboterhersteller in Japan auf ein großes Hindernis: das Pflegepersonal.

In den Augen der professionellen Helfer solle Pflege menschlich bleiben. Dementsprechend groß ist die Ablehnung von technischen Hilfsmitteln, selbst wenn es sich gar nicht um Roboter handelt. An einem Beispiel eines Pflegeheims im südjapanischen Kita-Kyushu schildert Oba, wie der Widerstand überwunden wurde: Die Mitarbeiter wurden in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt und sie wurden ermächtigt, ihre Arbeit zu gestalten.

In dem Heim sollte eine Hebehilfe für das Umsetzen von Patienten vom Bett auf den Rollstuhl eingeführt werden, um die große körperliche Belastung des Personals zu senken. Doch die Pfleger lehnten dies aus zwei Gründen ab: zum einen fehlte ihnen der menschliche Kontakt beim Umsetzen. Zum anderen dauerte es mit dem Lift zwei Minuten anstatt ein paar Sekunden.

Doch die Initiatoren der Idee ließen nicht locker und starteten einen gemeinsamen Lernprozess mit dem Personal. Über drei Jahre diskutierten sie einmal pro Woche, wie die Arbeit verändert werden könne, um die neue Technik zum Nutzen von Personal und Patienten einzusetzen.

Das Ergebnis wurde ein großer Erfolg: Die Mitarbeiter schlugen vor, die längere Umbettungszeit per Lift zum Plausch mit den Patienten zu nutzen. Dieses Mehr an Kommunikation verbesserte nicht nur das seelische Wohlbefinden der Patienten, sondern auch der Arbeitskräfte. Und mehr noch: Das Erlebnis, den eigenen Arbeitsstil mitbestimmen zu können erhöhte auch die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Das Resultat, so Oba: Kein Pfleger kündigte mehr, ein großes Plus bei Arbeitskräftemangel.

In einem anderen Vortrag schildert der deutsche Technik-Philosoph Patrick Grüneberg von der japanischen Kanazawa Universität am Beispiel des Exoskeletts HAL von Cyberdyne, wie wichtig es ist, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. HAL wird in der Rehabilitation eingesetzt, um Schlaganfallpatienten wieder das Gehen beizubringen.

Dabei käme es zu einer interessanten interaktiven Einheit zwischen Menschen und Maschine, sagt Grüneberg. Der Mensch ist aktiver Teilnehmer in der Therapie, weil HAL durch die Messung von Nervenimpulsen aktiviert wird. Der Mensch muss also die Bewegung machen wollten, damit das Exoskelett sie auch ausführt und der gelähmte Mensch dank des Roboterskeletts auf einmal gehen kann.

Für Grüneberg ist diese Ermächtigung des Menschen ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Robotik. Doch die schwierige Frage sei, wie man diese interaktive Einheit von Mensch und Maschine schaffen könne. "Denn es gibt einen Konflikt zwischen der Autonomie und Automatisierung."

Wichtig für den Therapieerfolg ist für Grüneberg im Falle HALs, dass sowohl Mensch als auch Maschine autonom handeln. Es handele sich also um eine gegenseitige, symmetrische Beziehung. Aber es gibt einen weiteren wichtigen Aspekt für den Erfolg von Robotern, nämlich die Zufriedenheit des Menschen. Und für die sei eine "asymmetrische" Gegenseitigkeit wichtig, so Grüneberg. "Die menschliche Autonomie muss die Oberhand haben."

Noch erscheint diese Diskussionen vielen Menschen vielleicht etwas akademisch. Doch sie wird auch im Alltag immer aktueller: Facebook beispielsweise will ein Welt schaffen, in der Systeme schon vor uns wissen, was wir wollen. Damit müssen wir Menschen schon bald die Frage sehr konkret beantworten, was wir von der Technik wollen. ()