Kommentar: Nein, hier ist es nicht wie in China!

Wenn in Deutschland über Überwachung oder Blockierbestimmungen diskutiert wird, heißt es oft: "Das ist ja wie in China". Diese Behauptung ist schädlich, weil sie einfach falsch ist und die nötigen Debatten vergiftet, meint Martin Holland.

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Kommentar: Nein, hier ist es nicht wie in China!
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Deutschland ist kein autoritärer Überwachungsstaat und Deutschland ist auch nicht China! Das klingt selbstverständlich, ist es aber offensichtlich nicht. Wie anders ist es zu erklären, dass ein Blick auf Details der immensen staatlichen Zensur im Reich der Mitte vielfach vor allem mit lapidaren "Ist ja wie bei uns" kommentiert wird? Und das ist kein Einzelfall, denn noch jedes neue Überwachungsgesetz und jede staatliche Anmaßung wird zu oft einfach auf eine Stufe mit der sogenannten Volksrepublik oder gleich mit dem menschenverachtenden System in Nordkorea auf eine Stufe gestellt.

Ein Kommentar von Martin Holland

Martin Holland schreibt seit 2012 für heise online und c't. Lange Zeit beschäftigte er sich vor allem mit den NSA-Enthüllungen des Edward Snowden und deren Folgen. Nachdem die längst Geschichte sind, haben sich neben weiteren IT-Themen, vor allem auch zu gesellschaftlichen Folgen von Internet, Social Media, Künstlicher Intelligenz & Co. schließlich Astronomie und Raumfahrt als wichtige Schwerpunkte etabliert.

Damit leisten diese Kritiker den nötigen Debatten aber einen Bärendienst. Im schlimmsten Fall weil sie die fundamentalen Unterschiede zwischen dem Zustand in der Bundesrepublik und dem im Reich der Mitte tatsächlich nicht sehen. Die meisten dürften sich dieser Unterschiede aber sehr wohl bewusst sein und trotzdem setzen sie gleich, was nicht einmal ähnlich ist. Dabei nutzen sie – vielleicht ohne das wahrzunehmen – die hier respektierte Meinungs- und Zensurfreiheit, um solch eine fundamentale Staatskritik gefahr- und furchtlos zu äußern. Die eigentliche Motivation hinter diesem haltlosen Vergleich ist dann wohl die Überzeugung, nur übertriebene Kritik würde überhaupt noch gehört.

Aber das ist falsch und genau das Gegenteil ist der Fall: Um sich beispielsweise Sorgen über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu machen, muss man nicht glauben, dass damit ein Einparteienstaat etabliert wird. Wer das dennoch nahelegt, entzieht sich mit solch einer haltlosen Behauptung sogar inhaltlichen Debatten. Der Großteil der Diskussionswilligen dürfte sich nämlich von solchen Äußerungen abwenden – der kleine Rest der Fundamentalkritiker bleibt unter sich. Und wenn doch einmal jemand gegen die Gleichsetzung Deutschlands mit China argumentiert, wird er oder sie dann persönlich dafür angefeindet. Statt über die realen Gefahren etwa eines Gesetzes, geht es dann darum, wie viel China darin enthalten ist. Den Kreis der Diskutierenden erweitert man damit nicht.

Und bevor das falsch verstanden wird: Vieles in der Bundesrepublik gehört kritisiert und nicht nur staatliche Maßnahmen wie die allumfassende Kommunikationsüberwachung im Internet bedeuten durchaus eine Gefahr für unseren Rechtsstaat. Aber das heißt doch nicht, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hierzulande verloren sind. Die Presse ist frei, die Bürger dürfen wählen, sich informieren und – nicht nur im Heise-Forum – ihre Meinung äußern. Es gibt besorgniserregende Gesetze und gerade unter Sicherheitspolitikern die Tendenz, den Rechtsstaat in einen Präventionsstaat zu verwandeln. Aber es liegt an uns, dies zu verhindern – und wir haben, ganz im Gegensatz zu den Chinesen, die Möglichkeiten dazu. Und notfalls gibt es auch noch das Bundesverfassungsgericht – übrigens eine Institution, zu der es in China ebenfalls nichts Vergleichbares gibt.

Wer trotzdem behauptet, Deutschland sei nicht mehr als ein kleineres China oder ein bunteres Nordkorea, ist unredlich. Gerade der Gegensatz zu derartigen Überwachungsstaaten ist eine wichtige Legitimationsquelle der Bundesrepublik. Wer diesen Kontrast einfach verneint, hilft nicht dabei, ihn zu stärken, sondern trägt stattdessen aktiv dazu bei, dass er tatsächlich verschwindet. Nur wenn Kritik den Punkt trifft und Kritiker glaubwürdig bleiben, haben sie eine Chance, ernst genommen zu werden und Gehör zu finden. (mho)