"Mozilla sollte den Kampf anführen!"

Der ehemalige Mozilla-CTO Andreas Gal erläutert im Interview, warum er Google für eine Innovationsbremse hält und welche Rolle Mozilla hier spielen könnte.

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Mozilla-Zentrale

(Bild: dpa, Andrej Sokolow)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Holger Bleich

Endzeit für Firefox? Nach Ansicht von Andreas Gal, dem ehemaligen Technikchef der Internet-Stiftung Mozilla, hat Google mit Chrome den Browser-Krieg um den Desktop gewonnen. Dennoch, so Gal, werde Mozilla gebraucht und sollte weiter kämpfen – insbesondere mit innovativer Software für Smartphones.

Googles Erfolg mit Chrome trägt laut Gal indirekt zur stagnierender Innovation bei Suchmaschinen bei. Für eine große Gefahr hält Gal die Monopolisierung von Datenbesitz weniger großer Konzerne. Mozilla könne auch hier helfen, beispielsweise mit dem jüngst gestarteten Projekt "Common Voice", dem Aufbau einer offenen Stimmen-Datenbank für Sprachsteuerungs-Projekte.

c't: Glauben Sie, Mozilla hat den Kampf um den Desktop im Browser-Bereich gegen Google verloren?

Andreas Gal: Ich würde eine etwas andere Fragestellung anregen; lassen Sie mich eine Metapher verwenden: Im Grunde genommen fragen Sie mich, ob Mozilla im Pferdekutschenmarkt gegen Google verloren hat – im Jahre 2017, in dem wir alle Auto fahren. Mozilla hat weniger den Desktop-Browser-Markt verloren, vielmehr hat der Desktop gegen Mobile verloren. Zwar gibt es draußen noch hunderte Millionen Desktops, aber Milliarden über Milliarden Smartphones. Die meiste Zeit bei Mozilla habe ich darauf verwandt, Mozilla aus dem Desktop-Markt herauszuführen – nicht, weil ich Angst hatte, dass wir nicht gegen Google konkurrieren könnten, sondern aus der Furcht heraus, der Desktop unterliegt den Mobilgeräten.

Ich glaube, Mozilla fertigt einige der besten Pferdekutschen, und ihre Pferde sind genauso gut oder besser als die von Google, aber der Pferdekutschenmarkt schrumpft. In einem gesättigten Markt entscheidet gutes Marketing über Wachstum, und da hat Google viel mehr Möglichkeiten. Google mag das Browser-Rennen auf dem Desktop für sich entschieden haben, umgekehrt sehe ich da aber keine Niederlage von Mozilla. Mozilla hat für das gesamte Web gewonnen, das kann ihnen niemand nehmen.

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c't: Okay, aber wie sehen sie dann Mozilla für den Mobilmarkt aufgestellt? Glauben Sie, Firefox für Android und iOS sowie Firefox Focus liegen gut im Rennen und können dauerhaft mithalten, vielleicht sogar Marktanteile stärken?

Ex-Mozilla-CTO Andreas Gal: "ich wünschte mir, Mozilla wäre aggressiver."

(Bild: Andreas Gal)

Gal: Ich habe ja jüngst einige Daten zum Marktanteil von Firefox für Android zusammengetragen und veröffentlicht – er steigt kontinuierlich in jedem Jahr. Zurzeit ist der Browser auf bis zu sieben Millionen Geräten installiert. Aus den Mozilla-internen ADI-Zahlen geht hervor, dass Firefox Focus (Firefox Klar) für Android und Firefox für iOS zusammen vielleicht sogar weniger als eine Million Installationen haben. Ich glaube, dass ist nicht die Schuld Mozillas. Focus (Klar) ist ein tolles Produkt, genau wie Firefox für iOS.

Das Problem liegt eher in der Kategorie: Auf dem Smartphone ist Webbrowsen ein Feature, kein Produkt. iOS etwa schickt Sie immer zum eingebauten Safari-Browser, wenn Sie irgendwo auf einen Link klicken. Apps dürfen diese Zielführung nicht durchbrechen. Deshalb ist es schwer für Fremdhersteller, mit ihrem Browser Marktanteile auf iOS zu erhöhen. Safari ist gut genug und leicht zu bedienen, deshalb machen die Nutzer das mit. Da nehme ich mich nicht aus: Ich habe zwar Firefox für iOS installiert, aber ich nutze ihn so gut wie nie, weil mich iOS zu Safari führt und dieser normalerweise tut was ich will.

Es gibt einige Chancen auch auf dem Smartphone, aber dafür muss man im Grunde genommen eine neue Browser-Kategorie einführen, anstatt etwa unter iOS gegen Safari zu konkurrieren. Focus (Klar) ist da auf dem richtigen Weg, aber ich wünschte mir, Mozilla wäre hier aggressiver. Der Brave-Browser von Brendan Eich setzt da die Pflöcke: Brendan hat nämlich tatsächlich eine neue Kategorie gegründet: "Das schnellere, weil von langsam ladender Werbung befreite Internet", und er liefert gleich den passenden Browser für dieses Internet: Brave.

(Bild: Statista.com)

Sie müssen Brave ausprobieren, um den Unterschied zu spüren und mir das zu glauben: Insbesondere News und andere Medienseiten laden darin oft um ein Vielfaches schneller als in Safari oder Firefox für iOS. Brave gibt mir also einen guten Grund, den Standard-Userflow von iOS zu umgehen. Mozilla sollte an dieser Stelle von Brendan lernen. Das Internet wird mit Werbung überflutet. Mozilla sollte den Kampf dagegen anführen. Dabei scheint es momentan eher so, dass selbst Google einen partiellen Ad-Blocker ausliefern will, und Mozilla nichts in der Richtung unternimmt. Ich hoffe, sie holen das bald nach.

c't: Entwickelt Mozilla Firefox Ihrer Einschätzung nach in gleichem Tempo wie bisher, oder wird es Ressourcen-Verschiebungen hin zu anderen Projekten geben müssen?

Gal: Ich habe keinen Einblick darin, wie Ressourcen heute oder in Zukunft aufgeteilt werden, aber mein Rat an Mozilla in den letzten fast sieben Jahren war immer derselbe: Konzentriert Euch auf die Zukunft! Der Desktop ist nicht die Zukunft – "There is no way to make the Desktop great again." Wenn Sie wie ich an dieses Mantra glauben, erkennen Sie, das doch nur Sinn ergibt, die meisten Ressourcen in Mobile zu stecken. Das ist es, was wir bei Firefox OS gemacht haben: Eine große, kühne Wette auf Mobile. Schlussendlich hat Mozilla zwar entschieden, dass es nicht schnell genug wächst, aber hat uns im richtigen Markt spielen lassen: Mobile. Mozilla sollte versuchen, andere Möglichkeiten wie Firefox OS zu finden. Mozilla ist eine Ansammlung von aufregend schlauen und leidenschaftlichen Menschen und ich bin sicher, sie führen genau diese Diskussion gerade intern.

c't: Apropos Zukunft: Mit "Common Voice" möchte Mozilla eine große Stimmen-Datenbank aufbauen. Ist zu erwarten, dass Mozilla sich nun von klassischen Interfaces abwendet und auf Spracherkennung- und Assistenz setzt?

Gal: Common Voice ist ein tolles Projekt und ich freue mich, dass Mozilla das angeht. Gesprochene Sprache wird künftig definitiv eine große Rolle bei vernetzten Produkten spielen, und Konzerne wie Google, Apple und Amazon, die für die Entwicklung guter Sprachassistenten eine ausreichende Datenbasis haben, werden diese Daten eben nicht teilen. Mozilla versucht jetzt, eine Sprachdatenbank aufzubauen und zu teilen. Das wäre ungemein nützlich für die Offenheit kommender Produkte, denn es ermöglicht viel mehr Unternehmen, wettbewerbsfähige Produkte zu bauen. Common Voice zeigt, dass es immer noch viel wichtige Arbeit für Mozilla gibt. Sprache gehört dazu, und IoT-Protokolle. Auch hier leistet Mozilla interessante Arbeit.

c't: Sie kritisieren an Google nicht nur an dieser Stelle, dass der Konzern das freie Web gefährdet. Wo noch?

Gal: Google hat im Bereich Suche ein massives Datenmonopol. Viele Märkte beherrscht das Unternehmen mit mehr als 95 Prozent Anteil. Daraus resultiert, dass Google all die Suchanfragen sieht und erfährt, auf welche Links die Nutzer in den Suchergebnissen klicken. Exakt diese Daten machen die Suchmaschine immer besser – und deshalb ist Yahoo Search so schlecht, insbesondere außerhalb der USA. Die Algorithmen von Yahoo sind gut, das Produkt ist gut, aber die Datenbasis ist unzureichend, deshalb machen die Nutzer dort so schlechte Erfahrungen.

Google strengt sich sehr an, sein Datenmonopol zu schützen. Wenn Anwender Chrome nutzen, hat Google ganz praktischen Nutzen davon, weil das Unternehmen den gesamten Informationsfluss während einer Suche kontrolliert: Sie tippen Ihre Suchanfrage in Chrome, Chrome sendet sie zur Google-Suche, Chrome rendert das Suchergebnis – und verbietet jedem Add-on, die Ergebnisse zu sehen, geschweige denn zu modifizieren. Das bedeutet: Wenn sie erst einmal Chrome nutzen, gibt es für niemanden, also beispielsweise auch nicht für Yahoo, einen Weg, die Daten zu sehen, um aus ihnen zu lernen und damit die eigene Suche zu verbessern.

Dies führt zur stagnierender Innovation bei Suchmaschinen jenseits von Google, aber auch zum erodierenden Respekt vor der Privatsphäre. In Deutschland, wo Google den Suchmaschinenmarkt fast zu 100 Prozent beherrscht, kennt das Unternehmen fast von jedem Bürger intimste Details. Angesichts dessen, dass parallel dazu immer mehr Teile unseres Lebens online ablaufen, finde ich das beängstigend. Und in Deutschland hat man keine Wahl mehr. Google ist das Interface der Menschen, um mit dem Internet zu reden, und wenn es nur diese eine Möglichkeit gibt, gibt es de facto keine Wahl. Sie können auf die Suche nicht verzichten, weil das Internet ohne Google nur ein Haufen von Milliarden von Webseiten ist, durch die niemand navigieren kann. Jeder deutsche Bürger ist gezwungen, Google-Kunde zu sein, wenn er das Internet nutzen will, und kein Mitbewerber ist in der Lage, eine Alternative zu entwickeln.

Das besorgt mich seit vielen Jahren schwer, und ich habe Mozilla immer wieder dazu gedrängt, wenigstens einmal über die Entwicklung einer Suchmaschine nachzudenken. Firefox sieht viele Suchvorgänge, und diese Daten hätten dazu genutzt werden können. Dieser Wettbewerb wäre gut, und Mozilla könnte für mehr Privatsphäre bei der Websuche sorgen, wenn sie sich rein wagen würden. Man kann die Situation auch zynisch sehen: Googles Bemühungen, Firefox auszustechen, sind deshalb so groß, weil sie sehr genau um die Gefahr für ihr Suchmonopol wissen, die von Firefox ausgeht – und das ist eine Gefahr für das eigentliche Brot-und-Butter-Geschäft von Google.

Über Mozillas Browserkampf und neue Projekte der Foundation berichtet c't in der kommenden Ausgabe 17/17, ab morgen online und in der App, und ab Samstag am Kiosk

(hob)