Post aus Japan: Der langsame Untergang von Galapagos

Nippon verliert schleichend ein weiteres Stück Besonderheit: Jahrelang leisteten klassische Falthandys Smartphones erfolgreich Widerstand. Doch nun scheint den Geräten die Puste auszugehen.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

In Japan geht eine Epoche zu Ende, die Liebe der Japaner zu klassischen Handys aus Vor-Smartphone-Zeiten. Jahre Lange verteidigten die liebevoll Gala-ke genannten auf- und zuklappbaren Muschel-Mobiltelefone einen recht hohen Marktanteil. Gala-ke steht für "Galapagos Keitai" (Galapagos-Handy) und das "Galapagos" in dem Wort für den sogenannten "Galapagos-Effekt" japanischer Hersteller, die Produkte entwickelten, die nur auf den japanischen Inseln "lebten". 2015 schrieben die Medien sogar noch von einem Boom dieser Handys. Doch seither bricht ihr Absatz wohl ein.

Wurden im ersten Quartal 2016 noch 1,5 Millionen Gala-ke verkauft, lag der Quartalsabsatz 2017, dem zehnten Lebensjahr des iPhones, nur noch bei 300.000 Handys, besagt eine Verkaufsstatistik des Marktbeobachters IDC. Der Absatz von Smartphones stieg derweil von 6,5 Millionen auf 8,5 Millionen Geräte.

Die gute Nachricht: Trotz des Absatzeinbruchs droht den Geräten nur ein langsamer Tod. Denn die Besitzer der überlebenden Gala-ke zählen in der Regel zu den technikferneren Japanern, die ihre Telefon nur selten ersetzen. Der Marktforscher eMarketer sagt daher voraus, dass der Anteil von Smartphone-Nutzern von 55 Prozent in diesem auf 60 Prozent im Jahr 2020 steigen wird. Damit trügen noch immer viele Japaner ein klassisches Handy mit sich herum.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Ich kann die Anhänglichkeit dieser Menschen durchaus verstehen. Meist handelt es sich um Japans langlebige Senioren, von denen auch in Japan viele technisch nicht mit der Zeit gehen wollen. Doch auch unter jüngeren Semestern gibt es noch immer Fans.

Einer meiner Freunde, ein etwa 50-jähriger selbstständiger Geschäftsmann, weigert sich beispielsweise weiterhin, sein Gala-ke gegen einen zeitgemäßen Kommunikator zu tauschen. Er mag die niedrigeren Kosten und den geringeren Störfaktor der alten Technik in seinem ohnehin hektischen Leben, sagt er. Und die Gala-ke bieten mit ihren recht großen, farbigen Displays schon viele Funktionen, die Smartphones erst weltweit popularisiert haben.

So nutzten Japaner sie schon als Musikplayer, E-Mail-Gerät und zum Einkauf im mobilen Internet, lange bevor Apples das iPhone auf den Markt brachte. Einige erlauben sogar die Ansicht von PDFs. Aber die großen Zeit- und Konzentrationsvernichter wie Twitter, Facebook, Video-Streaming und das Internet an sich sind weniger gut nutzbar.

Mein Freund genießt daher den Luxus, ungestört vom ständigen Piepsen oder Vibrieren eines Smartphones analog Bücher, Zeitungen oder Magazine zu lesen. Nicht einmal für die Jagd nach neuen Tweets oder Facebook-Likes muss er seinen Lesefluss unterbrechen. Nur hin und wieder muss er SMS checken oder – Gott gebe – gar einmal telefonieren. Aber diese Art der Fernkommunikation nimmt dank E-Mails auch immer weiter ab, die mein Freund noch ganz klassisch meist am Notebook abwickelt.

Wie lange er sich dagegen wehren kann, von der allseitigen Vernetzung eingefangen zu werden, ist ein noch offenes Kapitel. Denn offensichtlich gehört er einer aussterbenden Art an, selbst in Japan, dem Land, wo Widersprüche und Technologien aus verschiedenen Epochen der Technikgeschichte global gesehen vielleicht am friedlichsten und längsten koexistieren.

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